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(GZ-20-2015)
Neues von Sabrina
 
Ein Test für die Debattenkultur

Gestern hat mein Chef gesagt...

„Werfen Sie den Brief nicht weg. Wir legen einen Ordner an, den wir ‘Schmutzkästchen’ nennen. Darin heften wir dieses und ähnliche Elaborate ab“, ordnete mein Chef an. Der Bürgermeister, hinderte mich daran, einen anonymen Brief in die ‘Ablage rund’zu werfen.

Jemand, der sich selbst als „noch schweigende Mehrheit“ bezeichnete, hatte sich über den Bürgermeister niederträchtig ausgelassen, weil er angeblich zu viel für Flüchtlinge übrig hat.

Die Frage, warum man einen anonymen Brief schreibt, würde ein Satiriker wahrscheinlich mit der Feststellung beantworten, dass die schweigende Mehrheit zu viele sind, als dass sie auf das Absenderfeld passten. Aber warum der besagte Brief tatsächlich ohne Absender kam, wird mit einem Blick auf seinen Inhalt schlagartig klar. Sowohl die Tiermetaphern auf den Bürgermeister, wie der Hinweis auf seine großzügige Haltung Flüchtlingen gegenüber (vorne und hinten rein), als auch die Conclusio (aufhängen, wahlweise den Bürgermeister oder Fremde), lassen darauf schließen, dass da jemand mal so richtig die Sau rausgelassen hat, dessen Erinnerungen an seine Kinderstube und Kenntnisse von den Spielregeln des demokratischen Diskurses nicht mehr recht greifbar sind.

Man fragt sich schon, warum in letzter Zeit – erst bei der Diskussion um die Annexion der Krim durch Russland und jetzt bei der Flüchtlingsdebatte– so viele sich bei ihrer Meinungsäußerung in die Anonymität von Blogs, Phantasie-eMail-Absender oder des guten alten Briefs von „einem Freund“, der „schweigenden Mehrheit“ oder „wir werden mehr“ flüchten.

Nun, die erste Antwort dürfte sein, dass es sich um eine Mischung aus Dummheit und schlechtem Benehmen handelt, die es diesen Leuten unmöglich macht, ihre Meinung offen und vor allem in einem angemessenen Ton zu äußern. In dem einen oder anderen Fall mag auch Angst dazu kommen, dass das sorgsam gepflegte Weltbild, mit dem man so prächtig in Übereinstimmung lebt, von anderen argumentativ ins Wanken gebracht werden könnte.

Eine dritte Gruppe mag die romantische Vorstellung plagen, dass sie mit ihrem Geschreibsel Furcht und Schrecken verbreiten könnte, was sich natürlich unter der Wucht einer Mehrheitsmeinung leichter bewerkstelligen lässt, als unter dem Namen Rüdiger Rüpel (ich entschuldige mich bei allen Rüdigern für den Stabreim auf Kosten dieses schönen Vornamens). Etwas macht mich dennoch stutzig, nämlich, dass in so vielen der anonymen Blog-Einträge oder Mailings die Worte „man wird ja doch noch mal sagen dürfen“ vorkommen. Seien wir doch selbstkritisch: Übertreiben wir es nicht manchmal mit der political correctness? Damit meine ich nicht nur, dass wir hyperventilieren, wenn jemand das N-Wort für farbige Menschen benutzt. In der öffentlichen Debatte kommt es derzeit sehr leicht zu einer eher einseitigen Sicht auf Themen.

Andere Meinungen und Strömungen werden dann in eine Sphäre der Parallelkommunikation gedrängt, eben auf Blogs, Internetforen und andere, die wiederrum eher eine einseitige Sicht pflegen. Da entsteht keine Debattenkultur. So ist es derzeit mit der Flüchtlingsthematik. Wenn schon zaghafte Fragen nach den Grenzen der Belastbarkeit mit der Keule „Rechtspopulist“ erschlagen werden, wie soll dann eine Diskussion mit denen geführt werden können, die aus welchen Gründen auch immer mit Vorurteilen oder Ängsten kämpfen?

Mein Chef, der Bürgermeister, hat immer den Satz bewundert „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“, auch wenn Rosa Luxemburg, die ihn schrieb, einer Ideologie zuneigte, deren Anhänger noch heute Andersdenkende im Namen einer vorgeblichen Wahrheit verfolgen.

Sollten wir die Andersdenkenden nicht ermuntern, aus ihrer anonymen Ecke zu kommen und sich dem offenen Diskurs zu stellen? Müssen wir nicht auch wieder lernen, scheinbar unerträgliche Meinungen zu ertragen?

Schließlich gilt es für jeden zu bedenken, was eine andere Intellektuelle, Bettina von Arnim, einmal gesagt hat: „Ein Verstand, der die Füße in einem Sack von Vorurteilen stecken hat, der kann nicht nach dem Ziel laufen.“

Ihre Sabrina

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