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(GZ-10-2018)
Neues von Sabrina
 

Wehret den Anfängen!

Gestern hat mein Chef gesagt...

„Durch die Aktion ist mir wieder mal bewusst geworden, welchen Schatz wir haben, indem wir die Freiheit der Meinung und der Meinungsäußerung genießen dürfen. Hoffentlich ist das bei vielen anderen auch angekommen – in diesen Zeiten.“ Mein Chef, der Bürgermeister, bezog sich auf die Lesung, die er anlässlich der Aktion „Bücher aus dem Feuer“ zum Gedenken an die Bücherverbrennung vor 85 Jahren gehalten hat.

Er hat aus Lion Feuchtwangers Roman „Erfolg“ vorgelesen. Ein Sittengemälde aus dem Bayern kurz nach der Revolution, die wir dieses Jahr so groß feiern und zugleich eine leidenschaftliche Anklage gegen alles, was uns auch in diesen Tagen wieder plagt: Antisemitismus, Überhöhung des Nationalen, Verachtung von Demokratie und Freiheit, Beschimpfung und Verunglimpfung des politischen Gegners.

Es war wirklich gespenstisch sich vorzustellen, wie vor nicht mal ganz drei Generationen ein dumpfer Mob Scheiterhaufen errichtete, um darauf die Verkörperung des Geistes aus Jahrhunderten in Rauch aufgehen zu lassen. Wie Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler, Intellektuelle diese Flammen als Menetekel für das kommende sehen und aus ihrer Sprache und aus ihrer Selbst fliehen mussten – entweder real durch Auswanderung oder, vielleicht noch bitterer, durch Verstummen in der inneren Emigration.

Der Bürgermeister wollte mit der Lesung ein Stück Geschichte bewusst machen. Die Geschichte derer, die ihrer geistigen Heimat beraubt wurden und nicht selten daran zerbrachen. Aber auch die Geschichte der freiwilligen Kapitulation eines freien Volkes vor der Unfreiheit. Man wollte lieber seine Ressentiments bedient sehen, seine Sündenböcke durch die Straßen treiben und auf komplexe Fragen einfache Antworten hören.

An dieser Stelle müssen wir uns fragen, wie dick oder dünn der Firnis ist, der unsere demokratische und plurale Gesellschaft vor den Extremen schützt. Würden diejenigen, die durch die Straßen laufen, Volksverräter skandieren und Politikerpuppen an Galgen mitführen, nicht vielleicht auch das Grundgesetz in ein rasendes Feuer der Ignoranz werfen, wenn man sie dazu aufforderte?

Und wie sieht es mit der Wehrhaftigkeit eines Staates aus, in dem – wie in Niedersachsen geschehen – vermummte Chaoten das Privathaus eines Polizisten stürmen oder in dem unter Berufung auf ein selbstgebasteltes höheres Recht fremdes Eigentum durch Besetzung unter den Augen der (Berliner) Staatsgewalt zur eigenen Nutzung beansprucht wird?.

Wer sich einmal mit Initiativen wie #freethemall beschäftigt, wird mit Schrecken feststellen, in wie vielen Staaten tatsächlich Journalisten an der freien Ausübung ihres Berufes und damit die Menschen am Empfang freier Informationen gehindert werden. Vor drei Jahrzehnten, als in Europa die Mauern fielen und es so aussah, als würde der Hunger der Menschen nach Freiheit überall auf der Welt die Oberhand gewinnen, hätten wir uns sicher nicht vorstellen können, wie bereitwillig viele Menschen – auch hier bei uns im Land – Parteien und Personen die Stimme geben, die zwar das Wort Freiheit auf den Lippen führen, man jedoch den Nachsatz „,aber nicht für…“ dröhnend hören kann. Es gilt den Anfängen zu wehren, jedenfalls dort, wo es noch nicht zu spät ist.

Mein Chef, der Bürgermeister, will es nicht hinnehmen, dass wir die Freiheit behandeln wie ein altes Möbel, das wir von unseren Großeltern oder Eltern ohne eigene Anstrengung geerbt haben und es uns deshalb egal ist, ob es auf den Sperrmüll kommt. Mit Aktionen wie „Bücher aus dem Feuer“ oder einem kommenden Bürgerdialog über Europa will er Bewusstsein dafür schaffen, dass wir persönlich Verantwortung für den künftigen Weg tragen. Dabei setzt er auf den freien Gedanken und das freie Wort, von dem der Franzose Romain Roland einmal sagte: „Das Buch ist in den Händen des Volkes die mächtigste Waffe im Kampf um seine geistige und materielle Freiheit.“ 

Ihre Sabrina

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