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(GZ-5-2018)
Neues von Sabrina
 

Das Spiel mit social media

Gestern hat mein Chef gesagt...

„Habt ihr gehört, was der kleine Klugscheißer da rausgehauen hat? Er meinte, so chaotisch, wie mein Bücherregal ausschaue, könne man da kein shelfie machen! Blödes Gequatsche.“ Mein Chef, der Bürgermeister, war mal echt sauer.

Anlass war die Bemerkung eines Volontärs, der den vom Bürgermeister überaus geschätzten Lokalredakteur der Heimatzeitung zu einem Interview im Amtszimmer des Bürgermeisters begleitete. Da hatte dieser äußerst selbstbewusste Vertreter der Generation Y, der allen gegenüber von vornherein klarmachte, dass er sich als kostbare und seltene Humanressource in Zeiten des Fachkräftemangels sieht, eine despektierliche Bemerkung über den Ordnungssinn des Bürgermeisters in ein Bild der social media gekleidet.

Also weihte ich den Bürgermeister erst einmal in die neuen Trends ein. Denn auf Plattformen oder in Medien zur Kommunikation ist es wichtig, immer etwas Neues zu haben. Das gute alte Selfie kennen mittlerweile sogar die Großeltern und Foodporn, also das Abfotografieren von Mahlzeiten ist ziemlich 2017. Also muss immer noch was Ausgefalleneres, Kreativeres eingestellt werden. Neben Fotos von nackten Füßen vor Landschaftsmotiven sind es eben auch solche von Schreibtischen oder Bücherregalen, letztere sind dann die shelfies.

Diese Bilder werden aber nicht rein zweckfrei eingestellt, sondern sie sollen natürlich auch etwas aussagen. Hallo, ich bin gebildet, ich lese Bücher aus Papier. Ich habe Geschmack, wie die Ming-Vase verrät. Ich bin verspielt, sagt mein Teddy auf dem Bücherbord. Mir sind meine Eltern und meine Kinder wichtig, deshalb stehen deren Porträts drauf. Die Liste ließe sich unendlich verlängern.

In anderen Zusammenhängen haben sich ganze Deutungskreise spezialisiert, um Bücherregale bzw. deren Inhalt zu analysieren. So wie es in den Jahren des Kalten Krieges die angesehene Zunft der Kremlastrologen gab, die aus winzigsten Informationssplittern und Andeutungen aus der sowjetischen Machtzentrale ganze Grundsatzanalysen gefertigt haben, so gibt es heute die Kunst, aus dem Bücherregal des chinesischen Präsidenten Xi zu lesen. Der hält nämlich wichtige Fernsehansprachen immer vor einem sehr übersichtlich geordneten Bücherregal. Wie werden sich die politischen Scherpunkte verschieben? Wo liegen künftig Prioritäten? Wer dürfte in Ungnade gefallen sein? Welcher Stern Ist im Aufgehen begriffen? All das soll ablesbar sein von dem Nippes, den Fotos und den Büchern auf dem Regal im Büro des mächtigen Herrn Xi.

Dazu gehört dann natürlich auch ein gehöriges Maß an Inszenierung und Überlegung. Da ist kein Platz für ein achtlos hingelegtes Manuskript, nicht für ein aus nichts als rein sentimentalen Gründen aufbewahrtes Stück Töpferkunst der Tochter aus dem Kindergarten und schon gar nicht für nachlässig und gedankenlos einsortierte Bücher, die weder in Reih und Glied noch in einem inneren Zusammenhang zueinander stehen.

Sagen wir es ganz offen: Der Bürgermeister ist ein zutiefst kreativer und ideenreicher Mensch, der seine Arbeitsumgebung nicht uniform ordnet, sondern spontan, unkonventionell und überraschend gestaltet. Kurz: Auf dem Schreibtisch und im Regal ist er ein Chaot. Das ist keinesfalls negativ gemeint, denn ein chaotischer Arbeitsplatz deutet auf wendiges Denken hin, da sind sich die Arbeitspsychologen einig. Aber für Showeinlagen à la shelfie eignet sich so ein Mensch natürlich nicht.

Mein Chef, der Bürgermeister, sah mich einigermaßen nachdenklich an. Wenn das Spiel mit social media in Zukunft alles entscheidet – Wahlen, Karrieren, Existenzen – wo bleiben dann die kleinen Schwächen, die uns zu Menschen machen? Müssen wir uns alle in Zukunft nur inszenieren? Zum Trost twittere ich ihm den Satz eines wirklich großen Künstlers der Fotografie, Henri Cartier-Bresson: „Fotografieren, das bedeutet, das Motiv mit dem Kopf, den Augen und dem Herzen ins Visier zu nehmen.“.

Ihre Sabrina

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