Kolumnen & Kommentarezurück

(GZ-5-2017)
Kommentar von Georg Huber
 
► Georg Huber, Landrat des Landkreises Mühldorf am Inn:
 
Die Bedeutung der Kommunen für die europäische Integration

Liebe Leserinnen und Leser,

„Die Europäische Union befindet sich – zumindest teilweise – in einer Krise.“ Dieses für jeden proeuropäisch eingestellten Politiker und Bürger schockierende Zitat stammt vom Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker. Während seiner Rede zur Lage der Union im September 2016 hat es einer der wesentlichen Führungspolitiker der EU nicht an deutlichen Worten zu aktuellen Herausforderungen hinsichtlich des Gemeinschaftssinnes fehlen lassen.

In welcher Form wirkt sich die aktuell herausfordernde Lage der EU aus auf die Mitgliedsstaaten, auf Deutschland, auf die Bundesländer, auf die Länder, und letztendlich auf die Regierungsbezirke und Kommunen? Nicht nur in meiner Arbeit als Präsident der Deutschen Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) wird immer wieder deutlich: Die Kommunen sind ein wichtiger Baustein des europäischen Gebäudes. Warum ist das so und wie können wir im kommunalen Bereich die EU wieder stärken, wieder attraktiver und greifbarer machen?

Dazu müssen wir einen Blick in die Geschichte der EU werfen. Vor 60 Jahren, am 25. März 1957, unterzeichneten Vertreter Belgiens, der Niederlande, Luxemburgs, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und Italiens die „Römischen Verträge“: den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG). Damit war der Grundstein für die europäische Einigung gelegt. Heute, 60 Jahre später, reden wir von der Europäischen Union und die Veränderung in der Bezeichnung ist keinesfalls bloße Kosmetik. Sie markiert eine Entwicklung im Prozess der europäischen Einigung, die über die ursprüngliche Zielsetzung einer stärkeren Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich hinausgeht: Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Zusammenarbeit der Innen- und Justizpolitik, die Stärkung des Europäischen Parlaments, die Unterstützung der sozialpolitischen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und vieles mehr. Es galt insbesondere, den Bürgerinnen und Bürgern ein friedliches und soziales Europa zu schenken, einen gemeinsamen europäischen Binnenmarkt zu schaffen, den Klimaschutz gemeinsam zielführend voranzutreiben oder das Reisen, Wohnen, und Arbeiten deutlich zu erleichtern. Es gilt also, diese ursprünglichen Werte der Europäischen Union den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort erlebbar zu machen.

Die Vorteile der EU müssen wieder verstärkt greifbar gemacht und vermittelt werden. Die Bürgerinnen und Bürger sollen „Lust“ auf die EU und ihre Werte verspüren, damit sie sich für sie einsetzen. Das funktioniert nicht, wenn die Europäische Union als kompliziertes, undurchdringliches Institutionsgeflecht und abstraktes Gebilde erscheint, dessen Vorteile für den Einzelnen nicht erkennbar sind. Wie nun können wir als Kommunalpolitikerinnen und -politiker unseren Beitrag zu einer Stärkung der EU leisten?

In den Anfängen der Europäischen Gemeinschaft waren es die kommunalen Partnerschaften, die den Bürgerinnen und Bürgern die Vision eines friedlichen Europas näherbrachten. In Zeiten zahlreicher Krisen in Europa gilt es, diese Partnerschaften wieder aktiver als ein Instrument kommunaler Europaintegration einzusetzen. Im Landkreis Mühldorf gibt es dazu beispielsweise ein erst kürzlich von der nationalen Agentur für EU-Programme im Schulbereich ausgezeichnetes Projekt am Waldkraiburger Gymnasium. Unter dem Motto „There’s something new under the sun“ hat das Gymnasium beim Projekt „Erasmus+“ mit Schulen aus weiteren EU-Ländern zusammengearbeitet. Dabei haben die beteiligen Schülerinnen und Schüler neue Kulturen und Mentalitäten kennengelernt und Kontakte zu anderen Jugendlichen geknüpft, Freundschaften und weitere Austausche sind entstanden. Selbstverständlich gibt es auch an weiteren Schulen im Landkreis Austausche und Projekte, die das Zusammenwachsen der Menschen – insbesondere junger Menschen – in Europa vorantreiben. Durch diese praktische Netzwerkarbeit wird die europäische Idee nicht nur im Kopf, sondern mit dem Herzen gelebt und den Bürgerinnen und Bürgern näher gebracht.

Begegnung ist die Basis für das Kennenlernen, das Verstehen und das Tolerieren des Anderen und des Andersseins. Sie ist gewissermaßen der Humus, auf dem das Zusammenwachsen von Nationen und Völkern nur gelingen kann. Diese Idee sollte auch auf kommunaler Ebene in Form von Städtepartnerschaften, etc., wieder verstärkt erfolgen, die Kommunen stärker als Mittler zwischen der Union und den Menschen wirken und sich noch mehr als bisher auf nationaler und europäischer Ebene in kommunalrelevante Europathemen einbringen.

Die Partnerschaftsbewegung wird heute mitunter etwas mitleidig belächelt, als etwas Gestriges und vor dem Hintergrund weltumspannender Kommunikation und Mobilität Antiquiertes angesehen. Dem ist entschieden zu widersprechen. Zugegeben, manche Kommunalpartnerschaften tun sich schwer, sich in ihren Inhalten und Formaten neuen Gegebenheiten anzupassen, aber das macht die Grundidee nicht obsolet. Wir merken gerade heute, wie sehr sich die Mitgliedstaaten in der EU entfremden und ein Ton um sich greift, den man eigentlich schon als für immer überwunden hielt.

Völkerverständigung – so deplatziert und altmodisch der Begriff im Europa der EU aufgrund des erreichten Integrationsniveaus klingen mag – ist offensichtlich etwas, das permanent gepflegt werden muss. Kommunale Partnerschaften oder Schüleraustausche sind hierfür der richtige Ort. Wir sollten uns die Mühe machen, dieses Instrument wieder aktiver als eine Möglichkeit kommunaler Europaintegration einzusetzen, um die Lust, Neugierde und den Einsatz für Europa wieder zu stärken und voranzutreiben.

 

Ihr Georg Huber, Landrat des Landkreises Mühldorf am Inn

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