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(GZ-24-2021)
GZ-Interview mit Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft
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► GZ-Interview mit Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft:

 

Mehrwerte für Patienten und Beschäftigte schaffen

Nicht erst seit der Pandemie ist die Krankenhauslandschaft zahlreichen Herausforderungen und Umbrüchen ausgesetzt. Wie eine zukunftsfähige und patientenorientierte Versorgung aussehen sollte, darüber sprach GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel mit dem Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, Roland Engehausen. Die BKG ist der Zusammenschluss von etwa 190 Krankenhausträgern mit über 360 Krankenhäusern und insgesamt ca. 75.000 Betten in Bayern.

Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft und GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel. Bild: Eduard Fuchshuber
Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft und GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel. Bild: Eduard Fuchshube

GZ: Unsere Leser sind die Entscheidungsträger in den bayerischen Kommunen. Welche Rolle spielen sie für die BKG?

Engehausen: Zum einen haben die Krankenhäuser in Bayern zu etwa 2/3 kommunale Träger, zumeist von den Landkreisen oder kreisfreien Städten, nur zwei Gemeinden innerhalb eines Landkreises sind selbst unmittelbar Krankenhausträger. Viele Kreisräte vertreten jedoch ihre Gemeinden in den Aufsichtsgremien der kommunalen Kliniken.

Zum anderen ist Gesundheit gerade auch im Zuge der Pandemie eine zentrale Frage lokaler und regionaler Daseinsvorsorge – gerade auch im engen Zusammenspiel mit den wieder „entdeckten“ Gesundheitsämtern. Hinzu kommt die Verbindung von ambulanter und stationärer Behandlung sowie der Pflege. Die Krankenhäuser spielen als Anker in der Gesundheitsversorgung gerade auch in ländlichen Räumen eine wesentliche Rolle.

GZ: Auch ohne Pandemie steht das Krankenhauswesen gehörig unter Druck. Es geht ums Geld. Die Erreichbarkeit einer Klinik vor Ort ist wichtig für das persönliche Sicherheitsgefühl, aber können wir uns im Flächenland Bayern eine kleinteilige Versorgung leisten?

Engehausen: Während im Ballungsraum München und vereinzelt in der Metropolregion Nürnberg-Fürth-Erlangen eine Überversorgung herrscht, haben wir im ländlichen Raum einen Mangel an Versorgung – weniger an stationären Betten als an Fachkräften. Dieser macht sich beispielsweise besonders bemerkbar, wenn mehr Patienten über Nacht überwacht werden müssen.

Aus unserer Sicht gibt es einen höheren Bedarf an Ambulanzen, doch hierfür ist eine Strukturveränderung erforderlich. Das hat weniger mit Überversorgung zu tun, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass sich die Art der Patientenbehandlung in Zukunft weiter ändern wird.

Grundsätzlich werden vor allem die Kliniken im ländlichen Raum auch für diese vernetzte Versorgung ein Stabilitätsanker sein. Bekanntermaßen wird es für Haus- oder Fachärzte immer schwieriger Nachfolger zu finden. Hier übernehmen auch Kliniken zunehmend die Verantwortung zur Absicherung, beispielsweise bei der Notfallambulanz: 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Wir fordern hier flexiblere Möglichkeiten – Stichworte sind die „integrierte Klinik“ bzw. „integriertes Gesundheitszentrum“.

DRG-Fallpauschalensystem

GZ: Vor 15 Jahren wurde die Krankenhausfinanzierung auf das DRG-Fallpauschalen-System umgestellt. Seither steht das System in der Kritik, aus wirtschaftlichen Gründen falsche Anreize zu setzen, die zu mehr Behandlungen führen, als nötig wäre. Können die bayerischen Krankenhäuser auf dieser Basis ihrer Aufgabe, für eine flächendeckende und fachärztliche Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen zu sorgen, nachkommen?

Engehausen: Das DRG-System hat sich nur in Teilen bewährt. Ursprünglich als Messinstrument für die Preisbildung gedacht, hat man daraus in Deutschland ein Finanzierungssystem gemacht, das zu unterschiedlichen Schwierigkeiten führt.

Gerade aus Sicht einer Klinik in der Regelgrundversorgung im ländlichen Raum gibt es dabei Probleme. Zum einen geht das DRG-System davon aus, dass ein Krankenhaus nur dann ausreichend finanziert ist, wenn es auch eine Auslastung von etwa 85 Prozent plus x hat. Dies ist schlichtweg nicht mit jeder Leistung rund um die Uhr möglich und macht auch keinen Sinn.

Wenn ein Klinikbetrieb eine derart hohe Auslastung haben muss, bedeutet es auch, dass es kaum Möglichkeiten gibt, Belastungsspitzen über eine Reserve auszugleichen. Zum anderen ist die Vergütung umso höher, je komplexer die Behandlung ist. Beides sind Entwicklungen, die nicht unbedingt immer etwas mit dem Patientenwohl zu tun haben.

Zusammen mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft fordern auch wir deshalb eine Basisfinanzierung für die Krankenhäuser, um notwendige Vorhaltekosten unabhängig von ihrer Auslastung finanzieren zu können, wenn es sachlich geboten ist.

GZ: Wie beurteilen Sie Klinikverbünde oder Managementverträge?

Engehausen: Krankenhäuser müssen sich Gedanken darüber machen, wie sie eine vernetzte Steuerung effizienter nutzen können. Dies erfolgt schon in vielen Fällen beispielsweise über die Beteiligung an Einkaufsgenossenschaften und einzelnen Kooperationsprojekten. Auch ist es eine Überlegung wert, Kliniken in größere kommunale Verbünde zu fusionieren, wie dies bereits in Baden-Württemberg häufiger, aber auch in Bayern schon bei einigen Krankenhausverbünden geschieht. Die Tendenz geht eindeutig in diese Richtung.

Grundsätzlich ist ein Verbund aber per se kein Allheilmittel, sondern kann nur funktionieren, wenn die Balance zwischen den Kommunalverantwortlichen und der jeweiligen Klinikleitung stimmt. Wichtig ist eine stabile Vertrauenskultur.

Bei Managementverträgen liegt die unternehmerische Verantwortung weiter komplett in der Trägerschaft des einzelnen Krankenhauses. Der Träger entscheidet dann, keine eigene Geschäftsführung einzustellen, sondern sich diese sozusagen über einen Betriebsvertrag zu organisieren. Hier muss man von Fall zu Fall entscheiden. Oftmals spielen bei diesem Modell strukturelle Überlegungen eine Rolle. In der Regel sind diese auch nur für eine bestimmte Übergangszeit geplant.

Fachkräftemangel

GZ: Die Gesundheitseinrichtungen zählen zu den bedeutendsten Arbeitgebern des Freistaats. Über 210.000 Beschäftigte, darunter über 30.000 Ärzte und 80.000 Pflegekräfte, beziehen ihr Einkommen von bayerischen akut-stationären Krankenhäusern. Der Fachkräftemangel ist auch hier angekommen. Wie dramatisch ist die Situation?

Engehausen: Der Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich und gerade auch besonders in Krankenhäusern hat sich über einen langen Zeitraum verschärft und ist sicherlich aktuell (neben der Pandemiebewältigung) unser drängendstes Problem. Dieses zu lösen, wird nicht von heute auf morgen möglich sein. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, brauchen wir eine Vielzahl von verschiedenen Maßnahmen. Zunächst müssen wir die Gesundheitsberufe, speziell die Pflege, wieder attraktiver machen. Daran arbeiten wir schon seit Jahren und die ersten wichtige Schritte sind bereits gegangen.

Gutes Image für wichtigen Beruf

Fakt ist: Die Arbeitsbedingungen, Karrieremöglichkeiten, aber auch die Vergütungsmöglichkeiten haben sich in der Pflege inzwischen schon deutlich verbessert. Deswegen ist es wichtig das auch breit zu kommunizieren, um daraus jetzt ein gutes Image für diesen wichtigen Beruf zu entwickeln und um deutlich mehr Auszubildende zu finden. Auch ist es erforderlich, Fachkräften die Möglichkeit zu geben, Karriere in der Pflege zu machen und dafür nicht in die Verwaltung wechseln zu müssen. Hier benötigen wir noch bessere Ideen und Möglichkeiten. Damit verbunden ist, die Rolle der Pflege im Gesundheitsbereich als eigenständige Profession weiter zu stärken.

Kurzfristig ist es in Ordnung und auch notwendig, Pflegekräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen. Aber das hat seine Grenzen, auch im Hinblick auf die Fairness gegenüber Ländern, die genauso mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen haben und darunter leiden, dass in Deutschland die Bezahlung ein wenig besser ist.

GZ: Hat die BKG einen Einfluss darauf, wie die Rahmenbedingungen im Gesundheitsbereich gestaltet werden?

Engehausen: Die BKG hat das Thema intern zum Topthema gemacht. Gerade auch die Verbindung zwischen Fachkräftemangel und Digitalisierung. Aktuell versuchen wir beispielsweise für die Kliniken bessere digitale Strukturvoraussetzungen zu schaffen.
Wir müssen unnötige Bürokratie aus den Kliniken entfernen und unterstützen Angebote, wie beispielsweise die sog. PSUHELPLINE, eine Organisation, die kurzfristig Hilfestellung gibt, indem sie anonymisiert eine Hotline-Möglichkeit für Pflegekräfte schafft, wenn diese sich in einer Überlastungssituation befinden (https://psu-helpline.de).

Digitalisierung im Gesundheitsbereich

GZ: Eine Umstellung, verbunden mit einem Aufbrechen verkrusteter Strukturen, ist eine gewaltige Kraftanstrengung. Wie weit kann die Digitalisierung im Gesundheitsbereich tatsächlich Erleichterung verschaffen und wo stehen wir im internationalen Vergleich?

Engehausen: Wir sind noch im Rückstand und müssen aufpassen, dass wir Digitalisierung nicht nur als moderne Apps für Gesundheitsanwendungen verstehen. Einer der Hauptschlüssel für mehr Digitalisierung sind stabile Grundlagensysteme, wie z. B. eine Rechenzentrums- und Standardbranchensoftware-Struktur, die einen stabilen Klinikbetrieb mit hoher Verfügbarkeit und Cybersicherheit quasi „aus der Steckdose“ ermöglichen. Darauf aufbauend kann man weitere Entwicklungen wie ein Patientenportal anwenden. Genauso ein Instrument brauchen wir für das Entlastungsmanagement: Wird der Patient aus dem Klinikum entlassen, soll es möglich sein, seine Gesundheitsdaten weiter zu nutzen.

Eingebettet sein muss das Ganze in eine Telematikinfrastruktur für das gesamte Gesundheitswesen, die durchlässig ist zwischen den einzelnen Behandlungen beim Arzt und im Krankenhaus. Daran wird bereits gearbeitet.

Nicht ausreichend beachtet wird aus unserer Sicht dabei aber die besondere Rolle eines Krankenhauses, weil es dort immer mehr als nur einen Arzt und eine Pflegefachkraft gibt. Deswegen bedarf auch die Digitalisierung in der internen Organisationsstruktur eines Krankenhauses einer großen Kraftanstrengung. Dafür bieten die Softwareanbieter allerdings noch keine guten Lösungen an. Wir drängen hier auf Besserung.

Ein großer Vorteil für kommunale Häuser im ländlichen Raum kann sich durch mehr Telemedizin und Telekonsile ergeben, weil dadurch beispielsweise eine komplexere Behandlung mit Unterstützung eines entsprechend professionellen spezialisierten Mediziners aus einem Fachzentrum stattfinden kann. Dies ist insbesondere auch dann wichtig, wenn es um die Vorbereitung einer Operation oder die wohnortnahe Nachsorge geht.

Digitalisierung ist kein Instrument, um Gesundheitsversorgung in großen Zentren zu bündeln. Deshalb sollte sie dazu dienen, Gesundheitsversorgung regionaler stattfinden zu lassen.

GZ: Auffallend ist, dass die Gesundheitsversorgung bei Konzepten für eine lebendige Ortsmitte eine wesentliche Rolle spielt – Stichwort Ärztehaus. Was halten Sie davon?

Engehausen: Im Gesundheitsbereich werden die meisten Fragestellungen sicherlich auch künftig über die persönliche Beratung und Behandlung laufen. Deswegen ist es richtig, dass die Gesundheitsdienstleistungen auch in der kommunalen Daseinsvorsorge oder in den kommunalen Dienstleistungen eine immer größere Rolle spielen.

Nahversorgung nach schwerer Erkrankung

GZ: Stichwort demografischer Wandel: Wir alle werden immer älter und entsprechend pflegebedürftiger. Für alleinstehende Personen, die vielleicht in einem inzwischen viel zu großen Haus leben, ergibt sich oft eine Lücke zwischen dem Aufenthalt in einer Klinik und der anschließenden Versorgung. Was muss sich an dieser Stelle ändern?

Engehausen: Eine ausreichende Nahversorgung nach einer schweren Erkrankung, die ein Leben wie davor nicht mehr möglich macht, bereitzustellen, ist aktuell eine der größten kommunalen Herausforderungen. Gefragt sind die Absicherung des häuslichen Umfeldes, eine neue Organisationssituation für pflegende Angehörige oder aber die Unterstützung über ambulante Pflegedienste bzw. die stationäre Pflege.

Für uns Krankenhäuser ist hier das DRG-System ein Problem, weil es nur eine möglichst kurze, medizinische Behandlungszeit im Krankenhaus vorsieht. Mit der sog. Übergangspflege wurde nun aber endlich eine Möglichkeit geschaffen, dass der Patient nach der Behandlung im Krankenhaus dort noch bis zu einem Zeitraum von zehn Tagen bleiben und gepflegt werden kann, um die Nachsorge besser organisieren zu können. Dieser Leistungsanspruch ist gesetzlich festgelegt. Leider gibt es dazu aber noch keine vertraglichen Regelungen mit den Krankenkassen. Bayern ist hier Vorreiter und Ziel der BKG ist es, Anfang 2022 diese Leistung flächendeckend in den Kliniken für ihre Patienten zu ermöglichen. Die Verhandlungen laufen.

GZ: Sie haben mitten in einer Pandemie, im Dezember 2020, Ihre Stelle angetreten. Befinden Sie sich derzeit im Krisenmanagement und was würden Sie als die Herausforderungen der kommenden Jahre bezeichnen?

Engehausen: Von Krisenmanagement kann keine Rede mehr sein, eher vom guten und professionellen Umgang mit der Pandemie. In enger Zusammenarbeit mit dem Freistaat Bayern nimmt die Bayerische Krankenhausgesellschaft eine wichtige Rolle in der Pandemiebekämpfung ein, unter anderem bei der Sicherstellung der Versorgung auf den Intensivstationen.

Keine mengegetriebene Finanzierung mehr

Auch wenn die Pandemie hoffentlich bald ein Ende findet, bleiben die Herausforderungen die gleichen: Wir müssen uns verabschieden von einer mengengetriebenen Krankenhausfinanzierung. Dazu gehört auch, dass die systematische Beteiligung an der ambulanten Versorgung für Kliniken gerade im ländlichen Raum besser organisiert werden muss. Das beginnt bereits bei der Notfallbehandlung: Über 50 Prozent der ambulanten Notfälle werden bereits heute in Kliniken durchgeführt.

GZ: Gibt es noch einen Punkt, den Sie zum Beispiel Kreisräten mitgeben würden, die in ihren Gremien vor Ort darüber entscheiden, wie sich die regionale Gesundheitsversorgung zum Wohl und Wehe der Menschen auswirkt?

Engehausen: Kreisräte sollten zunächst ihren Blick auf den Status quo der Patientenversorgung in ihrem Verantwortungsgebiet richten, um hieraus Defizite erkennen zu können und Chancen für eine Verbesserung abzuleiten. Darüber hinaus ist es für das Krankenhaus wichtig, Rückendeckung aus der Kommunalpolitik zu haben. Auch sollte die Bedeutung eines Krankenhauses für die Region immer wieder sichtbar werden, getreu dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“: bei allen Gelegenheiten des gesellschaftlichen Miteinanders in der wirklichen, aber auch virtuellen Welt wie z.B. in den sozialen Medienkanälen.

DK

 

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