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(GZ-18-2021)
GZ-Gespräch mit Bayernwerk-Vorstandsvorsitzendem Dr. Egon Leo Westphal
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► GZ-Gespräch mit Bayernwerk-Vorstandsvorsitzendem Dr. Egon Leo Westphal:

 

Mit „Energie aus der Nähe“ auf Kurs bleiben

Das Treibhausgas CO2 reduzieren und die Klimaerwärmung aufhalten – diese beiden Ziele hat sich das Bayernwerk auf seine Fahnen geschrieben. Weil regenerative Energien primär auf dem Land erzeugt werden, der höchste Energieverbrauch aber in den Städten stattfindet, ist es für den Netzbetreiber eine der größten Herausforderungen, die Netze auszubauen und fit für die Zukunft zu machen. Auf welche Weise dies geschieht, erläuterte der neue Bayernwerk-Vorstandsvorsitzende Dr. Egon Leo Westphal im Gespräch mit GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel.

Dr. Egon Leon Westphal und Constanze von Hassel.
Dr. Egon Leon Westphal und Constanze von Hassel.

 

„Mit unseren technologischen Zukunftskonzepten und innovativen Energienetzen werden wir erneuerbare Energie, Speicher, Mobilität, Licht und den Gebäudesektor effizient, nachhaltig und in regionalen Kreisläufen vernetzen. So nehmen wir die Energiezukunft in Bayern in die Hand: Digitalisierung, Netzausbau, Innovation“, betonte Dr. Westphal.

Komplexe technologische Zusammenhänge

All dies passiere nah bei den Menschen, im kommunalen oder regionalen Umfeld. Die Energiezukunft hat viele Akteure. Die vielfältigen Herausforderungen der Energiezukunft lassen sich laut Dr. Westphal daher nur in enger Partnerschaft bewältigen. „Wir verstehen und leben unser Bayernwerk auch als Partnerschaftswerk. Es geht nur miteinander“, betont der Bayernwerk-Chef.

Diese komplexen technologischen Zusammenhänge hat das Bayernwerk in seinem Zukunftskonzept „Flower-Power“ zusammengefasst. Damit formuliert das Unternehmen seine konkrete Idee für die Energiewelt von morgen. Wie der Vorstandsvorsitzende darlegte, werde Bayern künftig zu einer energetischen Blumenwiese, in der sich Kunden je nach individuellen Bedürfnissen mit ihrer heimischen Energie versorgen können. Jede Stadt werde von den umliegenden ländlichen Regionen wie der Blütenkelch einer Sonnenblume von seinen Blütenblättern abhängig sein, die den Nährstoff erzeugen.

Lokaler Nutzungsgrad

Die Vorteile des Konzepts seien gravierend. Die Erhöhung des lokalen Nutzungsgrades erneuerbarer Energie sowie kürzere Verteilstrecken führten zu einer Verbesserung der CO2-Bilanz. Gleichzeitig steigere die Schaffung lokaler Energiesysteme die Wertschöpfung vor Ort. Doch ändert sich nicht nur das Verbrauchsverhalten:

Anstatt Strom lediglich zu verbrauchen (Consumer) bzw. zu verbrauchen und zu erzeugen (Prosumer), nehmen die Kunden aktiv an der Energiewelt teil und werden zu Flexumern. Sie nutzen ihren selbst erzeugten Strom flexibel, indem sie überschüssigen Strom speichern, für Mobilität oder zur Wärmeerzeugung einsetzen. Mittels intelligenter Messsysteme können lokal entstehende Flexibilitätsoptionen (z. B. Speicher, E-Autos, Wärmepumpen) nicht nur vermarktet, sondern auch für netzdienliche Zwecke gesteuert werden.

Als Flexumer leisten Bürgerinnen und Bürger so einen wichtigen Beitrag zur Stabilität der Stromnetze und werden zum zentralen Treiber der Sektorkopplung, also der zunehmenden Vernetzung des Gebäudesektors und der Mobilität mit dem Energiesystem.

300.000 Photovoltaik-Anlagen im Netz

Bereits heute speisen über 300.000 Photovoltaik-Anlagen Sonnenstrom ins Netz des Bayernwerks ein. Dieser Erfolg beruht auch auf den hohen Summen, die der Energieversorger einsetzt: Allein in den vergangenen vier Jahren wurden über zwei Milliarden Euro ins Netz investiert, 2021 werden es 650 Millionen Euro sein. Und jetzt kommt der Umbruch in eine neue Phase: Waren im ersten Solarboom vor rund zehn Jahren vor allem kleinere Anlagen ins Netz zu integrieren, werden nunmehr immer größere Photovoltaik-Anlagen anzuschließen sein.

Anfrageboom

Auch berichtete Westphal von einem regelrechten Anfrageboom nach Photovoltaikanlagen. So wurden allein bis Ende August 2021 im Bayernwerk-Netzgebiet Anschlussprüfungen für Hochspannungs- und Mittelspannungsnetze von knapp 12.000 Megawatt angefragt – das entspricht der Leistung von etwa elf Atomkraftwerken. Mit „Flower-Power“ werde das Verteilnetz zur digitalisierten Vernetzungs-Plattform der Energiewende. Im Jahr 2030 erwarte man im Freistaat rund zwei Millionen elektrische PKW, 660.000 Wärmepumpen und etwa 380.000 Kleinspeicher. Um die Vernetzung zwischen Mobilität und Stromnetz auf den Weg zu bringen, arbeite das Bayernwerk aktuell in unterschiedlichen Forschungsprojekten unter anderem intensiv mit der bayerischen Automobilindustrie zusammen.

Speichercontainer Oskar II

Apropos Automobile: Im Februar dieses Jahres wurde ein innovativer Speichercontainer namens Oskar II. benannt nach dem Strompionier Oskar von Miller, auf dem Gelände des Bayernwerks in Regensburg in Betrieb genommen. Damit wird ausgedienten Batterien aus E-Fahrzeugen ein zweites Leben geschenkt. Gekoppelt zu einem Großspeicher versorgt Bayernwerk mit diesen Batterien so auch seine E-Ladestraße in der Tiefgarage der Regensburger Unternehmensleitung.

Insgesamt bietet die Anlage eine Kapazität von 400 Kilowattstunden. Möglich machen das die gebrauchten Lithium-Ionen-Akkus von Audi-Testfahrzeugen Der Speichercontainer ist ein Prototyp und verfügt über drei Ladepunkte für Elektrofahrzeuge.

„Mit dem Fortschreiten der Energiewende spielen Speichermöglichkeiten eine immer größere Rolle. Denn wir brauchen sie für die intelligente Steuerung der Netze ebenso wie für die Elektromobilität. Im Falle von Oskar II. greifen beide Sektoren ineinander. Damit haben wir ein echtes Multitalent auf den Weg gebracht“, erklärte der Vorstandschef. Entwickelt wurde der Speichercontainer von der Bayernwerk Netz GmbH in Zusammenarbeit mit der innofas GmbH.

Intelligente Energiemanagementsystem

Durch das intelligente Energiemanagementsystem kann der Container zum „Peak Shaving“ genutzt werden, also als ausgleichendes Element beim Netzmanagement dienen. Beispielsweise kann die überschüssige Energie einer Photovoltaik- oder Windkraftanlage gespeichert und dann bei Lastspitzen genutzt werden. Solche Lösungen ermöglichen die bessere Auslastung der Verteilnetze und den weiteren Anschluss dezentraler Erzeugungsquellen an das Stromnetz.

Oskar II. ist auch für den „Inselbetrieb“ einsetzbar, also dort, wo gar kein Netz oder nicht ausreichend Kapazität zur Verfügung steht. Naheliegend ist etwa der temporäre Einsatz bei Veranstaltungen im Freien oder als Schnellladestation auf Autobahnraststätten mit geringer Anschlussleistung.

„Wir brauchen ein intelligentes Zusammenspiel von Fahrzeugen, Ladeinfrastruktur und Stromnetzen“, machte Westphal deutlich. Durch den Einbau einer bidirektionalen Ladeschnittstelle könne die Kapazität des Energiespeichers künftig temporär erhöht werden. Elektrofahrzeuge könnten dann nicht nur Strom tanken, sondern auch als Speicher dienen und bei Bedarf Energie je nach Situation an das öffentliche Netz („vehicle to grid“) oder das Kundennetz („vehicle to business“) abgeben.

Testbetrieb für verschiedene Anwendungen

Der mobile Speicher läuft beim Bayernwerk im Testbetrieb in verschiedenen Anwendungen. Die aus dem Betrieb gewonnenen Daten bilden dann die Grundlage für die weitere Optimierung mobiler Speicherlösungen.

Dass das Bayernwerk beim Betrieb seiner Energienetze voll auf Digitalisierung setzt, zeigt das Projekt „Switch.ON“. Hier kommt bei der digitalen Inbetriebnahme von Trafostationen die Künstliche Intelligenz von „IBM Watson“ zum Einsatz, die in der „IBM Public Cloud“ bereitgestellt wird. Heuer baut Bayernwerk rund 800 digitale Ortsnetzstationen auf. In den nächsten Jahren sollen mehrere tausend neue intelligente Ortsnetzstationen in seine Energienetze eingebunden werden. Sie sind ein wichtiger Schritt in die Energiezukunft, da sie detaillierten Aufschluss über vorhandene Netzkapazitäten liefern.

Campus Neuried

Um „Energie aus der Nähe“ zu generieren, arbeitet der Energieversorger bereits erfolgreich mit seinen energetischen Lösungen für städtische Quartiere, wie dem Münchner Werksviertel. Auch der „Campus Neuried“ bei München, ein künftiges Gewerbe- und Wohnquartier auf einer Bebauungsfläche von 52.000 Quadratmetern, bekommt unter anderem mittels Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung klimafreundliche Energie.

Im neuen Wohngebiet „Obermühle“ in Eggenfelden entwickelt die Bayernwerk Natur GmbH in Zusammenarbeit mit Grundstückseigentümer und Generalplaner nun ein weiteres innovatives Versorgungsmodell, bei dem Strom und Wärme miteinander verzahnt sind. Mit dem voraussichtlichen Einzug in 2023 können die neuen Bewohner der Wohnanlage dann gleich mehrfach von dem Energiekonzept profitieren. Dass Quartierslösungen auch für kleinere Ortschaften sinnvoll sind, zeigt sich am Beispiel der 5.000-Einwohner Gemeinde Wackersdorf. Sie versorgt ihre Liegenschaften, wie die Schule und ein Mehrgenerationenhaus mit lokal erzeugter Wärme und Strom und stellt durch einen Batteriespeicher die Stromversorgung auch im Notfall sicher.

Glasfaserangebot

Ländliche Regionen werden auch durch die Verfügbarkeit von schnellem Internet gestärkt. Für sein Glasfaserangebot erhält das Bayernwerk großen Zuspruch. So haben sich Westphal zufolge beispielsweise zahlreiche Meringer Haushalte für das Angebot der Bayernwerk Netz GmbH und ihrem Partner LEW Telnet mit kostenlosem Glasfaserhausanschluss entschieden. Der Ausbau kann damit starten.

Sicherheitsvorkehrungen, gegenseitige Achtsamkeit, digitale Schutzmechanismen

Die strategische Weiterentwicklung umfasst auch die Arbeitswelt im Unternehmen. „Um die Arbeitssicherheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter zu erhöhen, setzen wir neben detaillierten Sicherheitsvorkehrungen auf gegenseitige Achtsamkeit und digitale Schutzmechanismen“, unterstrich Westphal.

So wurde auf Initiative der eigenen digitalen Entwicklungsplattform NEXT die Entwicklung eines Warnsensors für Servicetechniker des Bayernwerks auf den Weg gebracht. Dieser wird wie eine Uhr am Handgelenk getragen und reagiert mit akustischen und visuellen Signalen, wenn sich die Träger stromführenden Teilen nähern. In Partnerschaft mit dem Herrschinger Unternehmen „WT I Wearable Technologies AG“ (WT) wurde diese Entwicklung nun zur Marktreife gebracht.

Schutzengel am Handgelenk

„Das ist wie ein Schutzengel am Handgelenk. Sehr schnell haben wir das Potenzial dieser Entwicklung erkannt. Wir freuen uns sehr, dass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach und nach mit diesem Schutzengel ausstatten können. Über die Sicherheitsaspekte im eigenen Unternehmen hinaus bietet die Nutzung von Sensorik in der Arbeitssicherheit erhebliche Marktchancen.

Wir wollen diese Sicherheitskomponente unbedingt auch anderen Unternehmen und Anwendern zur Verfügung stellen und haben dazu mit WT das Joint Venture PEEK ins Leben gerufen“, informierte der Vorstandsvorsitzende.

Westphal zufolge ist die Energiewende „eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“. Wer auf Kurs bleiben will, benötige vor allem Transparenz. Der EnergieMonitor der, der allen Kommunen in den Netzgebieten von Bayernwerk und LEW zur Verfügung steht, gebe detaillierten Aufschluss über die örtliche Stromerzeugung und den örtlichen Verbrauch.

EnergieMonitor

Visualisiert wird die lokale Energiebilanz auf einer online einsehbaren Übersicht, dem digitalen Dashboard. Auf der einen Seite werden die regenerativ erzeugten Kilowattstunden angezeigt, etwa aus Biomasse, Photovoltaik oder Wasserkraft. Auf der anderen Seite ist der jeweilige Verbrauch durch Industrie und Gewerbe, kommunale Anlagen und private Haushalte zu sehen. Im Viertelstundentakt aktualisieren sich die Daten und zeigen die prozentuale Eigenversorgung der Region an.

Mit dem EnergieMonitor haben nicht nur Bürgermeister die lokale Energiewende im Blick. Die digitale Übersicht lässt sich auch auf der kommunalen Internetseite einbinden oder auf einem größeren Bildschirm in öffentlichen Räumen und Schulen darstellen. So können alle Interessierten und vor allem die in der Region lebenden Bürger einsehen, wie die Energiewende in der Heimat umgesetzt wird. Das schafft Transparenz und motiviert. Inzwischen, so Westphal, machen bereits 80 bayerische Kommunen von diesem Tool regen Gebrauch.

DK

 

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