Interviews & Gesprächezurück

(GZ-18-2020)
GZ-Interview mit Dr. Uwe Brandl
 

► GZ-Interview mit Dr. Uwe Brandl:

 

Krise als Chance für eine neue Denkstruktur

Die Corona-Krise bestimmt das Jahr 2020. Welche Lehren sich daraus bereits jetzt für die bayerischen Gemeinden ziehen lassen und mit welchen Herausforderungen sie künftig konfrontiert sind, darüber sprach GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel mit dem Präsidenten des Bayerischen Gemeindetags und Bürgermeister von Abensberg, Dr. Uwe Brandl.

Gespräch in Corona-Zeiten: Dr. Uwe Brandl und Constanze von Hassel.
Gespräch in Corona-Zeiten: Dr. Uwe Brandl und Constanze von Hassel.

GZ: Corona ohne Ende oder „Never waste a good crisis“: was ist Ihr persönlicher Blick auf die aktuelle Situation?

Brandl: Die Lage ist sehr diffus und wir wissen noch nicht, wie sich die Jahre 2021/22 mit Blick auf die Einnahmen- und Ausgabenseite konkret darstellen. Ich gehe aber von deutlich steigenden kommunalen Ausgaben wegen Corona aus, nicht nur, aber vor allem beim kommunalen Anteil an den Kosten der Unterkunft, im Gesundheitssektor und bei den sozialen Diensten. Im Gegenzug fehlen die Einnahmen, das bereitet uns Sorgen. Hinzu kommt: Wenn weniger Menschen in Lohn und Brot sind, ist das kein positiver Ansatz für eine zufriedene Ortsgemeinschaft. Durch Corona wird das Auseinanderklaffen von Reich und Arm sicher noch weiterbefördert werden.

GZ: Es gibt Medien-Berichte, wonach die Stadt Hanau zwischenzeitlich mehr Hundesteuer als Gewerbesteuer eingenommen hat. Weder das Land noch der Bund haben eine Gelddruckmaschine. Worauf müssen sich die Kommunen einstellen, stehen uns finanziell schwere Zeiten bevor?

Brandl: Die Politik setzt zwar aktuell Zeichen, insbesondere durch investive Anreize die Krise zu bewältigen. Dem Bürger wird suggeriert, dass Geld im Überfluss vorhanden ist. Aktuell verschulden wir die Generation unserer Enkel in nie dagewesenem Umfang. Dabei wird die Frage, wie Ausgabenlasten zu reduzieren sind, von der Politik schlichtweg nicht diskutiert. Dies gilt im Übrigen für ganz Europa.

GZ: Werden die Positionen des Gemeindetags bei den Regierungsverantwortlichen wahrgenommen und sind Sie mit dem Krisenmanagement zufrieden?

Brandl: Die Wahrnehmung auf politischer Ebene divergiert. Es besteht aber die Neigung, das Augenmerk stärker auf die größeren Einheiten zu richten. Insofern ist unser Verband bemüht, die Betroffenheiten der kleineren Einheiten unter 50.000 Einwohner immer wieder gebetsmühlenartig zu artikulieren. Ob dies bei den Regierungsverantwortlichen in dem Maße ankommt, wie wir uns das vorstellen, darf getrost mit einem Fragezeichen versehen werden. Ich nenne hier nur das Beispiel Schülerbeförderung mit dem Vorschlag, mehr Busse einzusetzen, um die Abstandsregeln einhalten zu können. Klingt zunächst vernünftig, ist aber im ländlichen Raum nicht umsetzbar, da es dort schlicht an Buskapazitäten fehlt.

GZ: Stichwort Fachkräftemangel: Schon vor der Krise war es schwierig, geeignetes Personal zu finden. Hat Corona die Situation entspannt?

Brandl: Es wird notwendig sein, über das eigene Personal oder über die Ertüchtigung von Quereinsteigern schleunigst qualifizierte, berufsbegleitende Weiterbildungsangebote zu platzieren. Ich denke konkret an den Bildungsbereich, die öffentliche Verwaltung und den Wirtschaftssektor allgemein. Der Markt ist aktuell nicht in der Lage, hier ausreichend Fachkräfte zur Verfügung zu stellen. Die Situation bleibt schwierig.

GZ: Welche Lösungen bieten sich an?

Brandl: Die Politik täte gut daran, intensiv darüber nachdenken, wo Zukunftsfelder tatsächlich zu definieren und zu verorten sind. Der Standort Deutschland muss wieder interessant für Investoren werden. Das wirtschaftliche Wertschöpfungspotenzial ausschließlich dem Automobilsektor zu überantworten, halte ich für falsch. Jetzt wäre es notwendig, sich umzuorientieren. Im Hinblick auf unsere Innovationsfähigkeit gilt es, in den Bereichen digitale Technik und künstliche Intelligenz echte Akzente zu setzen und sich weniger von einem Wirtschaftszweig abhängig zu machen.

Außerdem muss unterbunden werden, dass ausländische Konzerne über neue Wertschöpfungsketten, sprich digitale Datentransfers, Mehrwerte generieren, die nicht unserer Volkswirtschaft zugutekommen. Ich plädiere für eine Online-Steuer oder Datentransfersteuer, die hierzulande eher diskutiert werden sollte als eine Reichensteuer, die ein vergleichsweise geringes Einnahmeplus generieren würde. Hier könnte ein neuer Wohlstand für unser Land entstehen. Bund, Land und Kommunen sollten angemessen an der Wertschöpfung beteiligt werden.

GZ: Stichwort Klimakrise und Energiewende. Die Stadt Abensberg hat vor einem Jahr ein vorbildliches Energiewende-Projekt auf die Beine gestellt. Unter der Marke „Naturstrom Abensberg“ wird ein regionaler Strommarkt aufgebaut, der lokale Stromerzeuger und Verbraucher vor Ort zusammenbringt. Wie lautet Ihre Zwischenbilanz?

Große Hoffnung Wasserstoff

Brandl: Wir sind mit der Entwicklung im ersten Jahr sehr zufrieden. Von insgesamt 6.000 Haushalten haben wir bereits knapp 1.000 Haushalte unter Vertrag. Wir können mit attraktiven Strompreisen aufwarten, stoßen allerdings bei der effizienten Energieverteilung klar an regulatorische Grenzen. Wir produzieren in Abensberg über 200 Prozent der benötigten Kapazitäten über die Bestandsanlagen. 2019 haben wir vier Großanlagen zugebaut, so dass wir eigentlich auf einem sehr guten Weg wären. Allerdings bräuchten wir u.a. eine Möglichkeit, Strom zu speichern, ohne dafür bestraft zu werden. Dies funktioniert aber leider nicht.

GZ: Eine Krise ist auch eine Chance für eine neue Denkstruktur. Momentan geht der Trend wieder zu mehr Individualverkehr. Müssen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur überdacht werden? Ist der verstärkte Ausbau des ÖPNV der Weisheit letzter Schluss?

Brandl: Ich gehe davon aus, dass 70 Prozent der Geschäftsreisen substituiert werden. Für ausreichend digital erschlossene, periphere Räume ist es eine Riesenchance, wenn die berufliche Tätigkeit keine ständige Präsenz am Arbeitsplatz erfordert.

Klar ist auch: Homeoffice entlastet die Umwelt durch weniger Verkehr. Die Abkehr vom ÖPNV in den Ballungsräumen insbesondere zum Individualverkehr in den Ballungsräumen ist für mich wenig überraschend. Das ist eine reflexartige Konsequenz von Vorgaben wie Abstand zu halten und Menschenansammlungen zu vermeiden. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass der ÖPNV in allen Landesteilen eine gute Lösung bietet.

Mit einem getakteten Personenverkehr ist er gerade in den ländlich strukturierten Gebieten nicht in der Lage, die Menschen angemessen in ihren Beförderungsinteressen abzubilden. Das schaffen auch Sammeltaxis oder Rufbusse nicht. Somit werden wir es auch künftig mit einer Mischung aus individueller und liniengebundener Beförderung zu tun haben.

GZ: Welche Technologie würden Sie bevorzugen?

Brandl: Meine große Hoffnung ist, dass die Wasserstofftechnologie schnell und intensiv weiterentwickelt wird. Sie ist für mich eine der möglichen Antriebsformen der Zukunft. Durch eine Modifikation der bisherigen Antriebstechnik wäre es möglich, im Automobilbereich wieder den Anschluss an „State of the Art“ zu schaffen.

Neue Wohn- und Lebenskonzepte

GZ: Nach dem Krieg hat man der Bevölkerung mit den Behelfsheimen ein Dach über dem Kopf und ein großes Grundstück zugänglich gemacht. Alternative Wohnkonzepte werden auch jetzt immer gefragter und gelten im ländlichen Raum als leichter umsetzbar als in städtischen Strukturen. Tiny Houses z.B. ermöglichen eine minimalistische Lebensweise und möglicherweise finanzielle Unabhängigkeit im Alter. Die Umsetzung erweist sich oft als schwierig. Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, damit diesem Wunsch nach neuen Wohnformen entsprochen werden kann?

Brandl: Wir brauchen in der Tat andere Wohnformen – Tiny Houses können in kleineren und mittleren Kommunen – vielleicht übergangsweise, vielleicht modular – eine Chance haben. Allerdings gilt es, ungeordnete städtebauliche Entwicklungen zu vermeiden. Bitte keine Häuser auf Rädern wie in den USA!

Die Gesellschaft hat zunehmend die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Mensch in Würde altern kann. Was generationenübergreifende Wohnformen anbelangt, reichen die Kapazitäten in den Bestandseinrichtungen bei weitem nicht aus. Alternative Wohnformen wie das Generationenhaus werden nun als das allein Seligmachende gepriesen. Bei aller Euphorie gilt jedoch: Die Chemie untereinander muss stimmen. Dieser Lösungsansatz passt nicht für jeden.

GZ: Thema Lebendige Ortsmitte: Veröden unsere Ortskerne jetzt noch schneller? Was passiert in Abensberg, um diese Entwicklung aufzuhalten?

Brandl: Einzelhandel und Gastronomie leiden auch in Abensberg sehr unter den Corona-Beschränkungen. Anders der Versandhandel. Der Trend zur digitalen Beschaffung hält an, weshalb wir mit Pleiten und Insolvenzen rechnen müssen. Das Wegbrechen einzelner, mittelständischer Familienunternehmen wird riesige strukturelle Probleme in unseren Gemeinden nach sich ziehen. Hier ist die Politik gefordert, ordnungspolitisch einen Riegel vorzuschieben. Ein Weg wäre, Retouren nicht mehr kostenfrei anzubieten. Auch könnte ich mir mit Blick auf die Wettbewerbsneutralität eine Art „Fernhandelsabsatzsteuer“ vorstellen.

Glasfasertechnik ist Zukunftsinvestition

GZ: Zur Digitalisierung in Schulen: Seit spätestens April ist klar, dass schnelles Handeln erforderlich ist. Es geht nicht nur darum, den Mangel an pädagogischem und fachlich geeignetem EDV-Personal zu beheben, es muss auch die entsprechende technische Ausstattung vorhanden sein. Sind unsere Kommunen hier handlungsfähig und bekommen sie die notwendige Unterstützung?

Brandl: Digitaler Unterricht ist ok, doch sind Qualifikationen und Skills vom Lehrer über den Schüler bis hin zum Elternhaus dringend erforderlich. In Zukunft werden technische Erfordernisse höhere Übertragungsgeschwindigkeiten erfordern. Deshalb ist die Glasfasertechnik eine der Zukunftsinvestitionen im Bildungssektor. Verweigert man sich einer vernünftigen Technologisierung des Schulgebäudes, wird die Gleichwertigkeit von Bildungsangeboten problematisch. Jetzt sind die Aufwandsträger und der Staat am Zug. Allen Schülern muss ermöglicht werden, an den neuen Lernmethoden zu partizipieren. Wir brauchen neue Finanzierungsformen. Es darf auch kein Tabu sein, z.B. Elternhäuser in sozial angemessenem Umfang an den Kosten zu beteiligen.

Gemeinsam gegen Hatespeech

GZ: Hatespeech und Angriffe auf Kommunalpolitiker: Vor der Kommunalwahl wurde das Thema breit diskutiert und erschreckende Beispiele, auch aus Bayern, kamen ans Licht. Hat die intensive Diskussion dieses Themas hier die Situation entspannt? Wie empfinden Sie das derzeitige Gesprächsklima?

Brandl: Wir haben lange an dieser Front gekämpft und versucht, die Politik zu sensibilisieren. Dass es nun für Anfeindungen in der analogen Welt bei jeder der 22 Staatsanwaltschaften im Freistaat einen Ansprechpartner für Kommunalpolitikerinnen und -politiker gibt, ist ein erster, guter Ansatz. Gleiches gilt für das neue Online-Meldeverfahren für Online-Straftaten. Amts- und Mandatsträger, die im Internet Ziel von Straftaten geworden sind, können künftig Anzeigen und Prüfbitten online an die Justiz übermitteln.

Apropos Justiz: Solange Verbalattacken gegen Politiker unter dem Blickwinkel der Meinungsäußerungsfreiheit straffrei gestellt werden und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung sehr schnell verneint wird – siehe Fall Künast –, habe ich meine Zweifel, ob unsere Botschaft richtig ankommt. Wir und unsere kommunalen Schwesterverbände werden jedenfalls sehr genau darauf schauen, wie die Politik nachjustiert und wie vor allem auch die Justiz reagiert. Hier ist eine Vorstufe der Eskalation erreicht. Deshalb ist es wichtig, dass Facebook und Co. klare Grenzen aufgezeigt werden.

Feuertaufe bestanden

GZ: Die ersten 100 Tage haben die neuen und wiedergewählten Mandatsträger nun nach den Kommunalwahlen hinter sich. Die neue Generation an Entscheidungsträgern wurde gleich ins kalte Wasser geworfen, wie haben sie sich Ihrer Meinung nach geschlagen?

Brandl: Insgesamt haben wir die Herausforderungen auf der kommunalen Ebene sehr gut, sehr professionell und sehr pragmatisch bewältigt. In Teilbereichen wesentlich schneller als die große Politik. Die Neugewählten haben die Feuertaufe mehr als bestanden. Beim Bayerischen Gemeindetag wird die Beratungstätigkeit gottlob sehr rege in Anspruch genommen. Das ist für uns auch Bestätigung der Qualität des Hauses.

An Grenzen stoßen wir bei Fragen der Plausibilität. So herrscht in vielen Bereichen wie bei der Kinderbetreuung relatives Laissez-faire, während beispielsweise bei Kulturveranstaltungen die Schrauben weiterhin sehr angezogen bleiben. Das wird nicht überall verstanden. Hier wäre die Politik gut beraten, nach möglichst einheitlichen Maßstäben vorzugehen und nicht mit unterschiedlichen Handhabungen je nach Drucklage zu reagieren.

Landesversammlung unter Corona-Vorzeichen

GZ: Wie ist die Kommunikation innerhalb des Verbands, wenn Sitzungen nicht stattfinden? Was wird aus der Landesversammlung im Herbst?

Brandl: Die Landesversammlung wird coronabedingt eintägig ohne großes Festprogramm und ohne Ehrengäste über die Bühne gehen. Wir fahren an dieser Stelle auf Sparflamme. Unsere Verbandssitzungen halten wir nicht in der Geschäftsstelle, sondern außerhalb in großen Sälen ab.

GZ: Nach zwei Jahren an der Spitze des DSTGB – was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?

Brandl: Diese Zeit war sehr interessant und lehrreich, weil das politische Parkett in Berlin doch ganz anders ist als in Bayern. Es wurden mir viele Einblicke in die Unterschiedlichkeit der kommunalen Ebenen hierzulande eröffnet. Ich hoffe sehr, in zweieinhalb Jahren die Chance auf eine weitere Amtsperiode als Präsident zu bekommen.

GZ: Welche Themen liegen Ihnen noch am Herzen?

Brandl: Ich bin sehr gespannt, wie es mit den gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland weitergeht. Aufgrund der Corona-Krise gibt es bereits Tendenzen, sich wieder auf die vermeintlich wichtigen, systemrelevanten Bereiche zu konzentrieren. Damit meine ich nicht nur die großen Kommunen, sondern auch die großen Akteure in der Wirtschaft. Aus meiner Sicht wäre dies viel zu kurz gesprungen.

DK

 

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