Interviews & Gesprächezurück

(GZ-4-2018)
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Status quo kommunaler Entwicklungshilfe

Projekte – Potenziale – Verbesserungsvorschläge

Fluchtursachen entgegenzuwirken und Bleibeperspektiven für die Menschen vor Ort zu schaffen, zählt fraglos zu den wichtigsten aktuellen Herausforderungen für Politik und Gesellschaft in Deutschland. Initiativen gibt es unzählige und das macht Hoffnung. Dass aber auch Kommunen ihren Beitrag zur Entwicklungsarbeit leisten können, ist noch wenig bekannt. Wie es um die Situation im Freistaat bestellt ist, darüber gaben 45 Kommunen im Rahmen einer von der Bayerischen GemeindeZeitung durchgeführten Fragebogenaktion Auskunft. Dabei stellte sich heraus, dass mehr als die Hälfte dieser Gemeinden, Städte und Landkreise Beratungsbedarf hat.

Für so manche Kommune mag diese Umfrage nun ein Anstoß dafür sein, sich dem Thema verstärkt zu widmen. Auf Wunsch werden dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) deshalb Ergebnisse und Kontaktdaten zur Verfügung gestellt.

Koordinierungsstellen für Helferkreise

Zum Zeitpunkt der Fragebogenaktion konnten lediglich 14 Befragte auf eine Stelle verweisen, die sich in der Kommune um kommunale Entwicklungshilfeprojekte kümmert. Der Markt Dietmannsried (Landkreis Oberallgäu) verwies auf eine Koordinierungsstelle des Helferkreises Asyl, die Stadt Freising auf ein „Faires Forum“ im Rahmen des Agendaprozesses. In der Gemeinde Wellheim (Landkreis Eichstätt) haben sich laut Auskunft viele Privatpersonen zu einem sog. Helferkreis zusammengeschlossen, der die Flüchtlinge in allen Lebenslagen wie beispielsweise bei Behördengängen unterstützt.

Die Stadt Augsburg hat aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Organisation, Personal, Migration und Interkultur einen Antrag gestellt, sich am Programm des BMZ „Servicestellen Kommunen in der Einen Welt (SKEW) – Koordination kommunaler Entwicklungspolitik – Initiative zur Förderung einer Personalstelle zur Koordination und Umsetzung entwicklungspolitischen Engagements in Kommunen“ zu beteiligen. Die Laufzeit des Projekts beträgt zwei Jahre. Es wird zu 90 % vom Bund gefördert.

In Erlangen wiederum werden Projekte der Kommunalen Entwicklungszusammenarbeit mit der Partnerstadt San Carlos vom Büro für Chancengleichheit und Vielfalt/Internationale Beziehungen durchgeführt. Eine Stelle für allgemeine kommunale Entwicklungshilfeprojekte gab es zum Zeitpunkt der Fragebogenaktion freilich noch nicht.

Für die Koordination insbesondere privater Entwicklungshilfeinitiativen sind laut Umfrage beispielsweise in Erding die Stadtverwaltung (Sachgebiet Stadtmarketing), in Freising das „Faire Forum“, in Erlangen der Dritte Welt Laden und im Landratsamt Donau-Ries u.a. das Büro des Landrats zuständig. Im Landkreis Eichstätt wurde ein sog. Kümmerer installiert, der die Kommunen bei der Bewältigung der verschiedenen Aufgaben unterstützt und Kontakte anbietet.

Immerhin gab mehr als die Hälfte der auskunftsfreudigen Kommunen an, konkrete Projekte mit zu betreuen. So entstand beispielsweise aus dem Asylhelferkreis der Marktgemeinde Dietmannsried das Projekt „Fit for work“.

In der Zusammenarbeit mit Asylsuchenden stellten die Unterstützer nach eigenem Bekunden immer wieder fest, dass der Wunsch nach Arbeit zwar groß, der Einstieg in reguläre, feste Arbeit jedoch durch Sprach- und aufenthaltsrechtliche Hürden oft hoch und lange nicht überwindbar ist. Die Idee ist, neben dem Einüben von praktischen Fertigkeiten in unterschiedlichen handwerklichen Bereichen (wie z.B. Metall-, / Holz-, / Glaserarbeiten / Gestalten in Farbe) gezielt Sprachübungen durchzuführen, um das Gelernte auch sprachlich einordnen und anwenden zu können.

Durch die Arbeit in Kleinstgruppen und der Kombination des praktischen Lernens durch Sehen, Handeln und Sprechen über realitätsbezogene Themen wird die Arbeit sehr intensiv vermittelt, ohne dass der Spaß und die Freude am Austausch dabei zu kurz kommt. Ganz nebenbei werden so auch wichtige soziale Kompetenzen wie Pünktlichkeit und strukturiertes Arbeiten weitergegeben. Zudem ermöglicht der intensive Austausch auch eine gezielte Förderung der jeweiligen Fähigkeiten. Das Erlernte soll bei einer Abschiebung im Heimatland anwendbar sein.

Die Initiative „fit for work“ wurde im November 2016 begonnen. Die Workshops sollen über die Helferkreise auch den Flüchtlingen aus den Nachbargemeinden angeboten werden.

Während Unterschleißheim auf eine Klimapartnerschaft mit dem Disctrict Ho in Ghana verweisen kann, berichtete Erlangen von zahlreichen Projekten der Städtepartnerschaft Erlangen-San Carlos. Dazu zählen der Ausbau der medizinischen Versorgung und Projekte im Bereich Menschenrechte und LGBTI sowie Trinkwasserversorgung.

Im Landratsamt Donau-Ries wiederum gab Landrat Stefan Rößle als Ziel aus, in Afrika bis 2020 insgesamt zehn Schulen über Bürgerspenden, Sponsoren bzw. Projektpartner aus dem Landkreis Donau-Ries zu bauen. Zudem wurde in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr eine Afghanistanhilfe installiert.

Als konkrete Projekte, die Bürgerinnen und Bürger in Ihrer Kommune aus eigener Initiative begleiten, nannte die Wasserburger Zeitung die Unterstützung des Missionsarztes Dr. Brei in Tansania beim Aufbau eines Krankenhauses bzw. beim Betrieb eines zweiten Krankenhauses. 

In Zusammenarbeit mit dem Förderverein  „Zukunft für Kinder“ unterstützen  Schüler der Staatlichen Realschule Meitingen (Landkreis Augsburg) das Kinderhilfsprojekt „Future for Children“ - Zukunft für Kinder in Sri Lanka. In der KAB Herberthofen/Erlingen hat die konkrete Unterstützung bedürftiger und notleidender Menschen bereits eine lange Tradition. So wird ein sehr enger Kontakt zu einem Krankenhaus in Bolivien gepflegt und dieses sowohl finanziell als auch durch Sachspenden unterstützt.

Ambitionierte Projekte

Eine ganze Reihe ambitionierter Entwicklungshilfeprojekte gibt es im oberbayerischen Erding. Dazu zählen: Maquila – Solidaritätsfond für Textilarbeiterinnen, die Unterstützung des Kinderkrankenhauses St. Pemien (Haiti), der Don Bosco Schwestern in Damaskus und des Lehrlingsheims La Paz, die Hilfsaktion für Erdbebenopfer in Nepal, Schulprojekte in Madagaskar, Äthiopien, Kenia und Tansania,  diverse Dorfprojekte sowie das Projekt GEFAIDO (gender facilitation integrated development), das die Mikrofinanzierung für Maasai-Frauen zum Thema hat.

Im Landkreis Donau-Ries wurde das Projekt „4 Steine für Afrika“ ebenso genannt wie das über regionale Spenden aufgebaute Hilfsprojekt „Hotel Maternel“, das ein Waisenhaus in der Hauptstadt von Burkina Faso unterstützt. Dort werden die Kinder unter anderem auch medizinisch versorgt und pädagogisch betreut. Zudem unterstützt und betreibt die Dechentreiter Stiftung in Asbach-Bäumenheim ein Kinderkrankenhaus in Afghanistan/Kabul.

Der Verein friends without borders in Unterschleißheim (Landkreis München) unterstützt insbesondere zwei Dörfer in der Volta Region in Ghana. Die Schwerpunkte der Projekte liegen im Bereich Bildung, Gesundheit und Umweltschutz. Einige Projekte wurden bereits umgesetzt. So wurden in Deutschland gespendete Brillen und Spielsachen übergeben sowie Gaskocher und Baumpflanzungen finanziert. Weitere Projekte wie der Bau eines Jugend- und Gesundheitszentrums, Kampagnen gegen Frühschwangerschaften und das Anlegen eines Energiewaldes sind in Planung.

Auf die Frage nach der möglichen Erschließung von Potenzialen (Sabbatical, Zeit nach der Ausbildung, testamentarische Verfügungen, Partnerschaften von Unternehmen) machte die Gemeinde Wellheim darauf aufmerksam, dass dies für Kleinunternehmer, wie dort vorherrschend, personell und finanziell kaum machbar sei. Auch wurde die Meinung vertreten, dass es schwierig sei, speziell unbegleitete minderjährige Flüchtlinge für die schulische/berufliche Bildung zu motivieren, wenn deren Bleibeperspektiven ungewiss sind. Hier stecke das größte Potenzial, das jedoch nur der Gesetzgeber durch Änderungen im Asyl-/ und Bleiberecht grundlegend schaffen kann.

„Um auf mehr Manpower bzw. Humankapital zugreifen zu können, ist es nötig, Möglichkeiten wie beispielsweise ‚Gap Years‘ nach Erlangen des ersten Schulabschlusses, nach oder vor der Ausbildung sowie vor, zwischen oder nach dem Studium zu erschließen“, betonte die CSU-Stadtratsfraktion Augsburg. Allerdings bestünde auch Potenzial bei jenen, die sich bereits im Berufsleben befinden, denen jedoch von Arbeitgeberseite eine Freistellung nicht bewilligt wird. Es gelte, den Zugang zu Informationen, Ansprechpartnern und möglichst niederschwelligen bürokratischen Hürden einzurichten oder zu verbessern. Auch seien möglicherweise Förderungen nötig, damit die „Freiwilligen Helfer“ nicht zusätzlich finanziell belastet werden.

Auf die Frage, ob die Hilfsorganisationen genügend vernetzt sind, antwortete knapp die Hälfte aller an der Umfrage teilnehmenden Kommunen mit „nein“. Nach Ansicht des Landratsamts München besteht hier noch Optimierungsbedarf. Die Kommunen sollten künftig noch viel enger mit den Hilfsorganisationen zusammenarbeiten, um den Aufbau von Parallelstrukturen zu vermeiden.

Die Gemeinde Schleching (Landkreis Traunstein) ist eigenen Angaben zufolge auf Vernetzung angewiesen, weswegen gute Kontakte zu Diakonie und Arbeiterwohlfahrt, zum Netzwerk Asyl Traunstein und zu den Bildungsträgern bestehen. Günstig sei die gegenseitige Informationspflege, die über die Arbeiterwohlfahrt in Traunstein vermittelt wird. Auch gebe es bayernweite Kontakte zu Helferkreisen, wodurch Erfahrungen geteilt werden können.

Ein weiteres Ergebnis der Umfrage ist, dass mehr als die Hälfte der Kommunen mit Problemen bei der Umsetzung ihrer Goodwill-Aktionen zu kämpfen hat. „Grenzen gibt es, wenn ehrenamtliche Dienste gegenüber Geflüchteten stärker wahrgenommen werden als gegenüber der einheimischen Bevölkerung (Senioren). Das kann entschärft werden, indem sich die Geflüchteten auch für die Einheimischen engagieren“, heißt es aus Schleching.  Grenzen gebe es für Ehrenamtliche, die gesetzliche Vorgaben des Ausländeramtes mit Blick auf die Bedürftigkeit Geflüchteter gelegentlich nicht nachvollziehen können. Dies fordere  nicht nur die Gemeinde, sondern auch Behörden und Hilfsorganisationen heraus.

Jeder Euro soll ankommen

Wie die CSU-Stadtratsfraktion Augsburg darlegt, liegen die Probleme im Fundraising und in der öffentlichen Wahrnehmung. „Eher mit Herausforderungen“ sieht sich das Landratsamt Donau-Ries konfrontiert: „Wir wollen nachhaltige kommunale Entwicklungspolitik und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wichtig ist dabei, dass jeder Euro vor Ort in regionale Projekte ankommt.“

Verbesserungsvorschläge kommen u.a. aus der Gemeinde Wellheim: Aus ihrer Sicht arbeiten auf kommunaler Ebene fast alle Verwaltungen „Hand in Hand“. Es fehle jedoch grundlegend „eine direkte Unterstützung durch Land und Bund. Hier werden die Kommunen regelrecht ihrem Schicksal überlassen.“

Nach Auffassung des Landratsamts München sollte der Austausch zwischen Landkreisen, Städten und Gemeinden über entsprechende Initiativen gezielter fokussiert werden. Best-Practice-Beispiele aus einzelnen Kommunen sollten einfacher kommuniziert werden können.

„Besonders hinsichtlich der Förderinstrumente der Entwicklungszusammenarbeit wäre es wünschenswert, dass es gezielt Programme für ehrenamtliche Akteure (z.B. Partnerschaftsvereine) gibt, die Kleinprojekte mit einem möglichst geringen Antragsaufwand ermöglichen“,  gab die Stadt Erlangen zu Protokoll. Bei Förderinstrumenten für Kommunen wäre es wünschenswert, dass es auch Förderungen für Kooperationen zwischen Kommune und NGOs gibt.

„Gerade in Nicaragua wird es für Kommunen aufgrund der zunehmenden Zentralisierung von Entscheidungsprozessen immer schwieriger, internationale Projekte durchzuführen. Förderungen für die Zusammenarbeit zwischen deutscher Kommune mit NGO im Partnerland würden helfen, dass die Akteure der Partnerschaft handlungsfähig bleiben. Hierfür fehlen Förderinstrumente“, monierte die Erlanger Stadtverwaltung.

DK

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