Kolumnen & Kommentarezurück

(GZ-22-2015)
Kommentar von Josef Mederer
 
► Josef Mederer, Bezirketagspräsident:
 
Starke Kommunen als Kernanliegen des Bundes

Liebe Leserinnen und Leser,

in der Bundesrepublik Deutschland gibt es rund 6,6 Millionen Menschen, die schwerbehindert sind. Insgesamt sind mindestens zehn Prozent der Bundesbürger von Behinderung betroffen. Wenn in Bezug auf diese Personengruppe von Inklusion die Rede ist, dann geht es meist um die Schule oder um die Barrierefreiheit in Gebäuden. Inklusion umfasst aber viel mehr. Auch Menschen mit Behinderungen haben „das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzunehmen und sich an den Künsten zu erfreuen“. Dies steht so in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948. Zahlreiche Gesetze haben diese Aussage seitdem konkretisiert. Die „UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ von 2009, deren Art. 30 explizit die Kultur betrifft, ist das jüngste Beispiel.

Auch aus dieser Konvention kann freilich kein Betroffener individuelle Ansprüche ableiten, beispielsweise ein Museum verpflichten, für ihn Führungen in Gebärdensprache zu organisieren. Die Konvention verpflichtet aber alle Staaten, die sie unterzeichnet haben, Maßnahmen zu ihrer Umsetzung zu treffen und diese regelmäßig zu dokumentieren.

Dies bedeutet: Die inklusive Kultur ist in der Bundesrepublik Deutschland also seit über sechs Jahren ein gesetzlicher Auftrag. Der Freistaat Bayern, Kommunen, Kultureinrichtungen, aber auch viele Vereine oder private Veranstalter stellen sich dieser Herausforderung, viele seit Jahren, viele mit großem Erfolg, manche freilich nur sehr zögerlich oder gar nicht.

Mit einer Tagung „Inklusion und Kultur“ in Nürnberg hat der Bayerische Bezirketag vor wenigen Wochen versucht, die vielfältigen positiven Entwicklungen vorantreiben und neue Impulse zu geben. Unser kommunaler Spitzenverband hat sich des Themas angenommen, weil seine Mitglieder, die sieben bayerischen Bezirke, sowohl für die regionale Kulturarbeit zuständig sind als auch für die ambulante Eingliederungshilfe. In vielen Bereichen, beispielsweise bei der Fortentwicklung der Offenen Behindertenarbeit, ist die inklusive Kulturarbeit bei uns im Bezirketag seit langem ein Thema.

„Den“ Menschen mit Behinderung gibt es in der Praxis der Kulturarbeit nicht. Man muss genau differenzieren: So sind die Bedürfnisse eines Menschen mit Sinnesbehinderung ganz andere, als die eines Menschen mit einer geistigen oder einer körperlichen Behinderung. Eine Maßnahme, die beispielsweise einem Blinden hilft, etwa eine Schwelle als Orientierungshilfe, ist für einen Rollstuhlfahrer aber eine Barriere, die seine Mobilität behindert.

Und es ist noch komplizierter: Auch innerhalb der Behinderungsgruppen muss nochmals differenziert werden. Denn wer beispielsweise von Kindheit an blind ist, für den ist die Braille-Schrift eine ganz selbstverständliche Kommunikationsform. Im Alter erblindete Menschen beherrschen diese Schrift in der Regel aber nicht, sie benötigen vielmehr akustische Informationen. Erst mit der Kombination beider Medien werden alle blinden Menschen erreicht.

Differenziert werden muss aber auch hinsichtlich der Zielrichtung von Inklusion. Wenn es beispielsweise um Barrierefreiheit geht, dann ist nicht nur die Zugänglichkeit von Einrichtungen ein Thema, also die Frage ob bzw. wie Menschen mit Behinderungen überhaupt in ein Gebäude gelangen und wie sie sich in ihm bewegen können. Es geht vielmehr auch um die formale, gestalterische und inhaltliche Präsentation der Angebote, die sie dann dort vorfinden, also um Fragen der behindertengerechten Vermittlung von Informationen. Barrierefreiheit umfasst neben der Mobilität also auch die Kommunikation. Patentlösungen, die allen Menschen mit Behinderung nützen, gibt es leider nicht.

Wenn ein inklusives Projekt gelingen soll, dann dürfen Menschen mit Behinderungen von Kultureinrichtungen oder Veranstaltern nicht als Problemgruppe gesehen werden. Sie bieten vielmehr eine große Chance, Strukturen aufzubrechen, Veränderungen zu wagen und Neues anzugehen.

Und bedenken Sie: Von inklusiven Veränderungen in Kultureinrichtungen profitieren über den Kreis der Menschen mit Behinderungen hinaus viele Menschen, Migrantinnen und Migranten, alle, die Deutsch nur wenig beherrschen, ebenso auch alte Menschen oder Kinder. Der Kreis der Nutznießer ist also groß. Dies kann ein zusätzlicher Anreiz sein, sich mit Inklusion zu befassen.

Ihr Josef Mederer, Bezirketagspräsident

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