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(GZ-4-2017)
Neues von Sabrina
 
Wo bleibt der gesunde Menschenverstand?

Gestern hat mein Chef gesagt...

„Es ist manchmal eine schmale Linie, die Sinn von Wahnsinn scheidet. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, als würde die Rechtsprechung derzeit darauf balancieren.“ Mein Chef, der Bürgermeister, ist nicht selbst betroffen, keine Angst. Er wird auch nicht mit Schaum vor dem Mund Richterschelte via Twitter betreiben, wie dies in anderen Weltgegenden der Brauch zu werden droht. Aber sein Gefühl für Maß, Mitte und Verhältnismäßigkeit war doch arg strapaziert worden von zwei Gerichtsentscheidungen, die kürzlich durch die Medien gingen.

Die eine kann theoretisch Auswirkungen auf viele kommunale Bauvorhaben haben, weil das Bundesverwaltungsgericht in einem Verfahren betreffend die Vertiefung der Elbe als Zulauf zum Hamburger Hafen umweltrechtliche Vorgaben erneut für den Stopp eines wichtigen Infrastrukturprojekts herangezogen hat. Festgemacht wird dies am mangelnden Schutz einer Pflanze namens Schierlings-Wasserfenchel, die angeblich so selten ist, dass die Schaffung von hunderten Arbeitsplätzen, bedeutende Investitionen und die Wettbewerbsfähigkeit der Exportnation Deutschland hinter deren Blühen zurücktreten müssen. Ich bin keine Botanikerin, gut, aber das Unkraut ist so unscheinbar, dass ich es garantiert ausrupfen würde, suchte es sich meinen Garten als Habitat aus. Meine Meinung: Ausgraben, umtopfen, fertig.

Das Ganze erinnert stark an die Verzögerungen beim Bau einer Eisenbahnstrecke durch einen Vogel namens Großtrappe, der irgendwo in der Prärie ansässig ist. Oder an die 10.000 daumengroßen Eidechsen, die zum stolzen Preis von 8.300 Euro pro Stück umgesiedelt werden müssen, damit die Bahn das Projekt Stuttgart 21 durchziehen kann. Vom Juchtenkäfer ganz zu schweigen, dessen Schicksal auch im Zusammenhang mit Stuttgart 21 die Gemüter monatelang bewegte und dessentwegen notwendige Baumfällungen in Frage standen.

Aber den absoluten Vogel schießen unsere österreichischen Nachbarn ab. Da hat deren Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass eine dritte Start- und Landebahn am Flughafen Schwechart nicht gebaut werden darf, weil – jetzt kommt’s – dadurch der CO2-Ausstoß der Alpenrepublik steigen und wertvolles Ackerland versiegelt würde, das künftigen Generationen zur Nahrungsmittelproduktion dienen könnte.

Mit dieser originellen Begründung kann sich Österreich jetzt gleich schockfrosten, denn außer Reparaturarbeiten an Radwegen und Klettersteigen ist ja kein Ausbau der Infrastruktur mehr möglich. Wohnungen, Schulen, Kitas, neue Gerichtsgebäude – alles erhöht den CO2-Ausstoß und es geht ein Fleckerl Erde verloren, auf dem man in späteren Zeiten Steckrüben ziehen könnte.

Für mich ist die Analyse eindeutig: Wir sind zu wohlhabend und zu bräsig, um noch den Zusammenhang zwischen Arbeit und Wohlstand zu realisieren und viel zu sehr mit der Schaffung von Problemen statt mit deren Lösung beschäftigt. Es ist ja gut und richtig, dass man bei Bauvorhaben, Infrastrukturprojekten und sonstigen Eingriffen in die Natur die Belange des Umweltschutzes, die Interessen von Tieren und Pflanzen abwägt. Aber bitte abwägen, nicht verabsolutieren, so dass auch mal die Interessen des Gemeinwohls, von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen entscheidend sein können.

Natürlich sollten wir auch nicht mit Amerika in einen Wettbewerb eintreten, wer die Klimaziele schneller über Bord wirft. Aber die mögliche Zunahme von CO2-Ausstößen zur Begründung anzuführen, einer ganzen Volkswirtschaft den Kragen umzudrehen, ist doch weit übers Ziel hinausgeschossen.

Mein Chef, der Bürgermeister, hört nachdenklich zu. Im Ergebnis ist es eine Abwägung zwischen zwei Konzepten der Zukunft – zwischen Entwicklung und Erstarrung. Hier die richtige Balance zu finden braucht es etwas, das der Philosoph Samuel Coleridge so beschreibt: „Gesunder Menschenverstand in ungewöhnlichem Maße ist das, was die Welt Weisheit nennt“.

Ihre Sabrina

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