Gestern hat mein Chef gesagt...
„Ich lasse mir meinen „way of life“ doch nicht von ein paar durchgeknallten Fanatikern diktieren. Ich fahre in Urlaub und zwar genau dahin, wo ich es mir einbilde.“ Mein Chef, der Bürgermeister, reagierte trotzig und entschieden auf die Reporterfrage im Sommerinterview des Regional-blatts, ob er denn auch – wie angeblich so viele Deutsche – plane, heuer wegen der Terror- und Sicherheitslage auf einen Auslandsurlaub zu verzichten.
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Es ist schon wahr. Wir leben derzeit in einer verrückten Welt. Schaudernd denke ich an die Horrorwoche, die noch gar nicht so lange her ist, als man buchstäblich jeden Tag von einer neuen und anderen Perversion des menschlichen Handelns lesen musste – Axtangriff in einem Regionalzug, Messerattacke an einer Bushaltestelle, Bombenanschlag auf ein Musikfest und als trauriger Höhepunkt ein sinnloser Amok-lauf lauteten allein die Schlagzeilen aus unserer nächsten Umgebung. Dazu das Lastwagenmassaker von Nizza, ein Geiselmord in einer französischen Kirche, eine Schießerei in einer amerikanischen Gaststätte, ein Blutbad in einem japanischen Behindertenheim und immer wieder grauenvolle Anschläge im Nahen und Mittleren Osten, in Afghanistan, Irak, Syrien und Saudi-Arabien, teilweise mit einem für uns trotz der schlimmen Terrorerfahrungen der letzten Jahre unvorstellbaren Blutzoll. Gott allein weiß, was noch alles passiert zwischen der Manuskriptabgabe dieser Kolumne und dem Erscheinungstag der GemeindeZeitung.
Alle diese Ereignisse stehen zwar eigentlich für sich. Einige haben gar nichts miteinander zu tun, wie etwa der Amoklauf mit den Terroranschlägen. Aber insgesamt und in der Summe tragen sie alle zu einem Gefühl der Verunsicherung, ja der Angst bei. Ich ertappe mich selbst dabei, dass ich nicht mehr rational die Ereignisse in saubere Kategorien teile, sondern bei jeder Meldung wieder denke: Aha, es geht weiter.
Der Bürgermeister kann sich noch gut an eine Zeit erinnern, da der Terror die Welt scheinbar schon mal im Griff hatte. Palästinensische Fatah-Kämpfer kaperten Flugzeuge, in Deutschland und Japan mordete jeweils eine Rote Armee Fraktion, in Italien die Roten Brigaden. In Amerika verbreitete die Manson Family Schrecken und in Nordirland tobte ein Bürgerkrieg. Damals lebten die Menschen auch in einer angespannten Situation, wie im schon legendären „Deutschen Herbst“, als in unserem Land gefühlt der Ausnahmezustand herrschte.
Klar, nichts lässt sich miteinander vergleichen. Und angesichts der vielen unschuldigen Opfer damals wie heute verbietet sich auch ein „schlimmer“ oder „nicht so schlimm“ als vergleichende Wertung der Situationen. Aber einen Unterschied gibt es doch: die Umlaufgeschwindigkeit der Nachrichten. Und die Bereitschaft zu Reaktionen ohne vollständige Sachverhaltsaufklärung. Wenn vor ein paar Tagen der amerikanische Präsident zum Amoklauf in München ein Statement abgibt, während das deutsche Fernsehen noch Sondersendungen vom OEZ ausstrahlt, ist dies zwar einerseits ein großartiges Zeichen der Solidarität. Andererseits hat es in der konkreten Situation die Terrorangst geschürt. Deshalb ist es ein guter und wichtiger Schritt, dass jetzt in aller Welt die Medien über selbstverpflichtende Standards in der Bericht-erstattung nach Gewalttaten nachdenken, die Verunsicherung bekämpfen und eine Heroisierung der Täter vermeiden sollen.
Mein Chef, der Bürgermeister, ist fest entschlossen, weder persönlich noch in unserer Stadt Verunsicherung und Angst aufkommen zu lassen. Ihm gefällt das Motto der Briten während der Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg „Keep calm and carry on“ – ruhig bleiben und weitermachen, um dem Feind eine entscheidende Niederlage beizubringen: Dass es ihm nicht gelingt, die Öffentlichkeit zu verunsichern und das Leben zu lähmen. In diesem Sinne poste ich auch ein Zitat von Martin Luther King: „Wir müssen Deiche des Mutes bauen gegen die Flut der Furcht.“
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