Interviews & Gesprächezurück

(GZ-9-2021)
GZ-Interview mit GVB-Präsident Jürgen Gros zur Bilanz der bayerischen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften
 

► GZ-Interview mit GVB-Präsident Jürgen Gros zur Bilanz der bayerischen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften:

 

Trotz Corona-Einschränkungen Umsatz- und Ergebnissteigerung

Der Genossenschaftsverband Bayern vertritt neben 222 Volksbanken und Raiffeisenbanken auch 1.000 Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften, die in 35 Branchen vertreten sind. Wie hat sich das schwierige Corona-Jahr 2020 auf ihr Geschäft ausgewirkt? Welche Sparten gehören zu den Gewinnern der Krise, welche zu den Verlierern? Auf diese und andere Fragen gibt GVB-Präsident Jürgen Gros Antworten.

GZ: Herr Gros, welche Bilanz ziehen Sie für die 1.000 genossenschaftlichen Waren- und Dienstleistungsunternehmen in Bayern für das Jahr 2020?

Gros: Insgesamt konnten sie sich auch im von Corona geprägten Jahr behaupten. Der Umsatz stieg um 2,4 Prozent von 13,1 Mrd. Euro auf 13,4 Mrd. Euro. Das Ergebnis legte auf 331,7 Mio. Euro zu. 2019 lag es bei 308,4 Mio. Euro, ein Plus in Höhe von 7,5 Prozent.

GZ: Welche Branche hat besonders von der Corona-Pandemie profitiert?

Gros: Die genossenschaftlichen Waren- und Dienstleistungsunternehmen in Bayern sind in mehr als 35 Branchen vertreten. So heterogen diese Gruppe ist, so differenziert ist das Bild, was die Entwicklung im Corona-Jahr 2020 angeht. Während beispielsweise IT-Dienstleister und Unternehmen in den Bereichen Gesundheit zulegen konnten, spürten Unternehmen in den Bereichen Gastronomie, Tourismus, Transport und Kultur sowie Brauereien die negativen Folgen des Lockdowns.

GZ: Bleiben wir bei den Brauereien. Welche Auswirkungen hatten die Corona-Maßnahmen auf Sie?

Gros: Der Bierkonsum ist drastisch eingebrochen, da dieser maßgeblich außer Haus in Kneipen und auf Festen angekurbelt wird. Der noch jungen Brauereigenossenschaft Remonte Bräu Schleißheim bei München beispielsweise droht aufgrund des ablaufenden Mindesthaltbarkeitsdatums, dass Bier fässerweise weggeschüttet werden muss.

Brauereigaststätten wie die Kommunbräu in Oberfranken wiederum erkämpften sich nur schwerlich einen Zugang zu den staatlichen Corona-Hilfen, weil sie als Gemischtbetriebe anfangs durchs Raster fielen. Inzwischen wurden Nachbesserungen erreicht. Generell kann man festhalten: Die Brauereien bekamen deutliche Umsatzeinbrüche zu spüren. Die lange Zeit der Unsicherheit wirkte sich zusätzlich negativ aus. Das zeigt, wie wichtig es ist, den Betrieben klare Perspektiven zu geben.

GZ: Perspektiven sind ebenso für Gründer wichtig. Hat durch die Corona-Pandemie auch so manchen der Mut verlassen, eine Genossenschaft ins Leben zu rufen?

Gros: Die Sondersituation des Jahres 2020 hat dem Gründungsgeschehen keinen Abbruch getan. Die Unternehmensform der Genossenschaft ist beliebt. Der GVB begleitete 19 Gründungen von Genossenschaften. 2019 waren es 18, im Jahr davor 14. Dabei setzten sich Gründungstrends aus den Vorjahren fort.

GZ: 2019 zeichnete sich ein Trend zur Gründung von Nahwärmegenossenschaften ab. Hielt dieser auch im vergangenen Jahr an?

Gros: Ja, das rege Gründungsgeschehen in diesem Bereich geht weiter. 2020 gab es weitere vier Gründungen mit diesem Zweck – für das laufende Jahr zeichnet sich bereits ein zunehmendes Gründungsgeschehen ab. Die anderen Gründungen des vergangenen Jahres erstreckten sich von Unverpackt-Läden über Beratungsdienstleister bis hin zu genossenschaftlichen Modellen für Altenpflege und Seniorenwohnheime.

GZ: In Bayern gibt es 90 Raiffeisen Warenmärkte. Wie fällt deren Bilanz aus?

Gros: Mit einem Umsatzplus von 2,3 Prozent blicken sie auf ein gutes Jahr zurück. Der Umsatz legte von 1,20 Mrd. Euro auf mehr als 1,23 Mrd. Euro zu. Das Ergebnis stieg um 84,6 Prozent von 11,8 Mio. Euro auf 21,7 Mio. Euro. Mit dazu beigetragen hat die befristete Senkung der Umsatzsteuer im vergangenen Jahr von 19 Prozent auf 16 Prozent. Einige Kunden haben deswegen Käufe vorgezogen – das ließ sich vor allem bei Dünger und Pflanzenschutzmitteln beobachten.

Dieser Vorzieheffekt hat aber seine Kehrseite, denn er trübt die Aussichten für das laufende Jahr. Doch auch bei Garten- und Baustoffen konnten die Raiffeisen Warenmärkte zulegen. Viele Menschen wollten es sich aufgrund des Lockdowns zu Hause schön machen oder sie gingen ohnehin geplante Bauprojekte an.

GZ: Wie lief das Corona-Jahr 2020 für die ländlichen Genossenschaften?

Gros: Die 247 ländlichen Genossenschaften verzeichneten einen Umsatzrückgang um 3,5 Prozent von 1,34 Mrd. Euro auf 1,30 Mrd. Euro. Das Ergebnis legte von 20,6 Mio. Euro um 18,1 Prozent auf 24,4 Mio. Euro zu. Bei den Vieh- und Fleischgenossenschaften hat sich zum einen der Corona-bedingte Schlachtstau negativ ausgewirkt.

Die Einschränkungen im öffentlichen Leben und die Schließung gastronomischer Betriebe führten zum anderen dazu, dass viele Menschen wieder mehr zu Hause selbst kochten. Dadurch ist der Absatz im Lebensmitteleinzelhandel gestiegen. Das hatte eine Veränderung der Nachfrage zur Folge. Während in der Gastronomie vor allem Edelteile wie Filets gefragt sind, erlebte durch das Kochen zu Hause Hackfleisch eine gesteigerte Nachfrage. Für das laufende Jahr zeichnet sich im Bereich Fleisch in den ersten Monaten eine gewisse Entspannung ab.

Insgesamt ist im Lebensmittelbereich eine Verschiebung hin zu mehr Bio zu beobachten – angeschoben durch den privaten Konsum. Wer nicht in den Urlaub fahren kann, gönnt sich zu Hause mehr.

GZ: Wie erlebten die Milchgenossenschaften das Jahr 2020?

Gros: Durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens ergab sich eine gemischte Lage bei den 114 Milchgenossenschaften. Betriebe mit engen Lieferbeziehungen zum Lebensmitteleinzelhandel konnten profitieren. Molkereien, die vor allem Großabnehmer zu ihren Kunden zählen, bekamen die Schließungen von Restaurants, Kantinen und Hotels stark zu spüren.

Unter dem Strich blieben die Umsätze mit 3,20 Mrd. Euro stabil – im Jahr davor war der Umsatz bei 3,19 Mrd. Euro gelegen. Das Ergebnis kletterte um 6,5 Prozent von 51,4 Mio. Euro auf 54,7 Mio. Euro. Der Milchauszahlungspreis in Bayern lag mit 34,4 Cent pro Kilogramm 0,7 Cent unter dem Vorjahreswert, aber 1,6 Cent über dem bundesdeutschen Wert.

GZ: Wie haben sich die Genossenschaften in anderen Branchen entwickelt?

Gros: Die Handelsgenossenschaften konnten ihren Umsatz von 5 Mrd. Euro auf knapp über 5,3 Mrd. Euro steigern, was einer Zunahme um 6,5 Prozent entspricht. Das Ergebnis gab um 17,2 Prozent nach und sank auf 29,7 Mrd. Euro. Der Handel im Gesundheitsbereich trug erheblich zum Plus bei.

Im Bereich Handwerk konnten zum anderen Einkaufsgenossenschaften besonders profitieren, die in der Baubranche oder baunahen Dienstleistungen tätig sind. Zum Teil kletterten hier die Umsätze um sechs Prozent.

Da sich am Bau keine Abschwächung des Booms andeutet, dürften diese Genossenschaften auch im aktuellen Jahr weiter zulegen. Außerdem konnten ebenso die gewerblichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften ihre Umsätze steigern, um 3,1 Prozent von 1,21 Mrd. Euro auf 1,25 Mrd. Euro. Das Ergebnis legte um 10,4 Prozent von 125,9 Mio. Euro auf 138,9 Mio. Euro zu.

GZ: Welche Unternehmen sind in der Sparte gewerbliche Genossenschaften vertreten und gibt es auch hier, wie eingangs angesprochen, unterschiedliche Entwicklungen?

Gros: Ja, auch hier sind die Unterschiede besonders augenfällig, was wiederum zeigt, wie vielgestaltig die Genossenschaften sind. Das Umsatzplus ist insbesondere auf Unternehmen im Bereich IT-Dienstleistungen zurückzuführen. Zu den krisengebeutelten Branchen unter den GVB-Mitgliedern zählen Kinos, Gastronomie oder Genossenschaften, die im Regionalmarketing, Tourismus oder in der Beratung tätig sind.

GZ: Wie haben die Energiegenossenschaften das Corona-Jahr erlebt?

Gros: Durch die Einschränkungen sank der Strombedarf, vor allem in der Industrie bei stromintensiven Unternehmen. Zudem hatten touristische Zentren geschlossen. Das spürten die genossenschaftlichen Energieversorger.

Gestiegene Strompreise sowie der Mehrbedarf im privaten Bereich konnten den Rückgang im Verbrauch nicht kompensieren. Die 258 Energiegenossenschaften verzeichneten deshalb einen Umsatzrückgang von 20,2 Mio. Euro um 5,6 Prozent auf 339,9 Mio. Euro. Das Ergebnis legte um 3,4 Prozent zu und erreichte 2020 29,1 Mio. Euro. Auch innerhalb dieser Sparte muss differenziert werden: 2020 war ein sonnenreiches Jahr.

Mit 1.965 Sonnenstunden waren es 60 Sonnenstunden mehr als 2019. Außerdem wurden neue Photovoltaik-Anlagen gebaut. Hinzu kommt, dass die Abschreibungen für einige Anlagen ausgelaufen sind. Dadurch konnten die 102 Photovoltaik-Genossenschaften ihren Umsatz von 27,2 Mio. Euro auf knapp 30,5 Mio. Euro steigern. Das Ergebnis legte um 30,9 Prozent von 6,5 Mio. Euro auf knapp 8,5 Mio. Euro zu. Ebenso steigerten die 86 Nahwärmegenossenschaften ihren Umsatz von 9,2 Mio. Euro auf 9,7 Mio. Euro. Der Ertrag kletterte um knapp 10 Prozent von 881.000 Euro auf 970.000 Euro.

 

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