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(GZ-17-2016)
Politik
► Die Frage:
 
Flüchtlinge aufs Land!?
 

Sommerkolloquium der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum und der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung

Ballungsräume und städtische Zentren wachsen – während viele ländliche Räume an Bevölkerung verlieren. Auch Flüchtlinge scheinen Metropolen und dynamische Wirtschaftszentren zu bevorzugen. Doch angesichts der Wohnraumprobleme und Segregationsgefahren in manchen größeren Städten auf der einen Seite, der Leerstandsproblematik in Dörfern und der Facharbeiterknappheit auf der anderen Seite, werden Forderungen laut, die Migrationsbewegungen gleichmäßiger zu verteilen, vor allem zwischen Stadt und Land. Der Frage „Flüchtlinge aufs Land?“ ging das Sommerkolloquium der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum mit der Hanns-Seidel-Stiftung in München nach.

Nach Auffassung des Münchner Soziologen Prof. Dr. Armin Nassehi ist die Einwanderung, die aktuell geschieht, eine besondere Form, denn: „Flucht ist ungeplant und kaum steuerbar. Und man muss es deutlich sagen: Niemand hat sie gewollt.“  Die Bundesrepublik Deutschland bezeichnete er als „ein erfolgreiches Einwanderungsland – obwohl sie nie Einwanderungsland sein wollte“.

Von einer erfolgreichen Integration könne dann gesprochen werden, wenn das Leben in der Gesellschaft nicht vom Merkmal ‚Migrant‘ bestimmt ist und ‚Integration‘ nicht thematisiert werden muss. Integration gelinge dann, wenn Menschen am Alltag teilhaben und Werte und Bekenntnisse nicht ausdrücklich kommuniziert werden müssen, sondern miterlebt und selbst gelebt werden können, urteilte Nassehi.

Für Thomas Huber, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Demographische Entwicklung der CSU-Landtagsfraktion, wäre es wichtig, die Menschen ausgewogen auf städtische und ländliche Regionen zu verteilen – „in Einklang mit der Bevölkerungszahl und den vor Ort vorhandenen Kapazitäten“.

Laut Mikrozensus gab es 2011 in Deutschland 1,7 Mio. Leerstände und das nicht nur in Ost-Deutschland, wie Dr. Reiner Braun, Vorstandsmitglied des Forschungsinstituts empirica, informierte. Er berichtete auch von Bürgermeistern, die freiwillig mehr Flüchtlinge aufnehmen, als der Verteilungsplan vorsieht, etwa die Gemeinde Altena in Nordrhein-Westfalen, die in den vergangenen 40 Jahren stark von Abwanderung betroffen war. Nun saniert die Gemeinde gemeinsam mit den Flüchtlingen leerstehende Wohnungen.

Dr. Jürgen Weber (Regierung von Niederbayern) stellte unter anderem folgende Thesen auf:

1. Die Vermutung, dass Asylberechtigte nach ihrer Anerkennung in großer Zahl aus den ländlichen Räumen in die Verdichtungsräume abwandern, kann derzeit nicht bestätigt werden.

2. Der Wohnungsmarkt ist auch in vielen ländlichen Gebieten sehr angespannt. Aufgrund vieler Fragezeichen im Hinblick auf das Wanderungsverhalten der Flüchtlinge ist eine Prognose der Wohnungsnachfrage in vielen ländlichen Gebieten unsicher und risikoreich. Dies hemmt die private Investitionstätigkeit.

3. Nicht zuletzt aufgrund der Probleme bei der Wohnraumversorgung auch in vielen ländlichen Gebieten nimmt die Zahl der Fehlbeleger in den Unterkünften zu. Gleichzeitig werden dezentrale Unterkünfte nach Möglichkeit aufgelöst.

4. Bildung, berufliche Qualifizierung und Erlernen der deutschen Sprache sind wesentliche Bausteine der Integration. Umgekehrt müssen die regionalen Gesellschaften im ländlichen Raum offen für Neues sein, Internationalität „leben“ und das Bildungssystem entsprechend anpassen.

5. Die Integration in das Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsystem steht erst am Anfang. Entgegen landläufiger Meinung gibt es auch in ländlichen Gebieten Arbeitsplätze für Personen im Kontext von Fluchtmigration.

6. Bei den Flüchtlingen stehen derzeit folgende Tätigkeitsbereiche (überwiegend „Helfer“-Niveau) im Vordergrund: Gastronomie, Verpackung, Lagerung, Logistik und Transport, Reinigung, Herstellung und Verkauf von Lebensmitteln. Diese Tätigkeitsbereiche gibt es durchaus auch in ländlichen Gebieten. Problem: Bislang nur sehr wenige Angaben über Berufstätigkeit der Befragten in akademischen Berufen möglich (z.B. Human- und Veterinärmediziner, Lehrer und Journalisten). Wahrscheinlich sind höher qualifizierte Befragte unterhalb ihres Bildungsniveaus beschäftigt.

7. Der Zugang zum Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsystem stellt viele Flüchtlinge in Stadt und Land gleichermaßen vor hohe Hürden. Wesentliche Hemmnisse sind Kriegs- und Unterdrückungserfahrungen, traumatische Fluchtsituationen, Fehlende / unzureichende deutsche Sprachkenntnisse, schulische Bildungsdefizite, fehlende oder nicht anerkannte Berufsabschlüsse, kulturelle Unterschiede (Arbeitssuche, Arbeitsalltag, etc.), mangelnde Einbindung in soziale Netzwerke, teilweise rechtliche Unsicherheiten bei den Betroffenen.

8. In den ländlichen Räumen sind die zentralen Orte grundsätzlich als Standortprinzip geeignet, um Flüchtlingen bei der Integration zu helfen. In zentralen Orten können am besten die Grundfunktionen Wohnen, Bilden, Arbeiten, Versorgen und in Gemeinschaft leben auf kurzem Weg sichergestellt werden.

9. Bei der Schaffung attraktiver Lebens- und Arbeitsbedingungen für Menschen mit Fluchthintergrund ist besonders auch die teilräumliche Ebene gefordert.

Viele Standortvorteile ...

Fazit: Der ländliche Raum bietet viele Standortvorteile, damit Integration gelingen kann. Dazu gehören die in der Regel gut funktionierenden sozialen Netzwerke, die dezentral aufgestellte, flexible Bildungsinfrastruktur mit teilweise freien Kapazitäten oder die vielen offenen Arbeitsstellen.

Ein solches Netzwerk präsentierte Bürgermeister Dieter Möhring, 1. Bürgermeister von Aidhausen, einer Mitgliedsgemeinde der unterfränkischen Hofheimer Allianz. Schon früh hat sich die Interkommunale Arbeitsgemeinschaft mit dem Flüchtlingszustrom beschäftigt und neben einer Asylberatung eine klare Organisationsstruktur aufgebaut. Der „Freundeskreis Asyl“ arbeitet mit den caritativen Einrichtungen und den Helferkreisen und Selbsthilfegruppen vor Ort zusammen. Vom Aufnahmezentrum in der Stadt Haßfurt aus werden Flüchtlinge in dezentrale Unterbringungen vermittelt. Möhring zufolge gibt es bis auf das Thema Mobilität bzw. Mobilitätskosten keine Probleme wegen der dezentralen Unterbringung. Viele Flüchtlinge, die eigentlich in andere Städte weiter wollten, um in die Nähe von Verwandten und Bekannten zu kommen, blieben nun doch.

... und große Potenziale

Laut Wolfgang Ewald, Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, bieten die ländlichen Räume für die Integration gute Voraussetzungen und vielfältige Potenziale. Die Zuwanderung ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels auch als Chance für die ländlichen Räume zu sehen. Eine nachhaltige Integration gelinge allerdings nur dann, wenn der erforderliche gesellschaftliche Veränderungsprozess vor Ort aktiv gestaltet wird.

Die Landentwicklung könne hierfür wichtige Beiträge leisten. Dabei gehe es neben der Begleitung der Veränderungsprozesse um die Umnutzung leerstehender Bausubstanz und Soziale Dorfentwicklung sowie die Sicherstellung von Daseinsvorsorge und Mobilität.

Für ein erfolgreiches Handeln sollten nach Ansicht Ewalds weitere Voraussetzungen gegeben sein: Ausreichende Steuerung von Flüchtlingen in die ländlichen Räume, möglichst große Passfähigkeit von Zuwanderern und Aufnahmeregion, Schwerpunktsetzung auf Familien und Wahrung von Mindestgruppengrößen gleicher gemeinsamer sozialer und kultureller Wurzeln, Öffnung aller Maßnahmen auch für andere sozial schwache Gruppen sowie Bereitstellung zusätzlicher Mittel auch für die ländlichen Räume. Nunmehr sei es wichtig, alle Unterstützungsmöglichkeiten von Land und Bund abzustimmen, mahnte Ewald.

DK

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