(GZ-10-2024 - 16. Mai) |
► Präsidiumssitzung des Deutschen Landkreistags: |
Landkreise zwischen Baum und Borke |
Die Themen Kreishaushalte, Krankenhausreform und Deutschlandticket bestimmten die Präsidiumssitzung des Deutschen Landkreistags im Landkreis Oberspreewald-Lausitz. Mit Blick auf die schwierige Finanzsituation stellte DLT-Präsident Reinhard Sager fest: „Die kommunale Ebene hat im vergangenen Jahr mit einem Defizit von etwa 6 Milliarden Euro abgeschlossen. Vor allem die stark steigenden Ausgaben machen den Städten, Landkreisen und Gemeinden zu schaffen. Die Lage der Kreisfinanzen ist mit einem Defizit von ca. 2 Milliarden Euro ebenso besorgniserregend und bleibt es selbst nach den Prognosen des Bundesfinanzministeriums auch für die kommenden Jahre.“
Gerade die Kreishaushalte seien alles andere als krisenfest, denn die Landkreise hätten keine eigenen Steuereinnahmen und seien bei der Erhebung der Kreisumlage durch ein Rücksichtnahmegebot gegenüber den Gemeinden begrenzt. „Um dieses Dilemma aufzulösen, unterstützt der Deutsche Landkreistag den Gang der Landkreise Mansfeld-Südharz und des Salzlandkreises vor das Bundesverfassungsgericht. Eine andere Möglichkeit sehen wir nicht“, machte Sager deutlich.
Kostendynamik
Der düstere Befund der stark steigenden Ausgaben treffe insbesondere für die 294 Landkreise zu: Hohe Personalausgaben, steigende Sachaufwände, ein üppiger Tarifabschluss und vor allem die Sozialausgaben seien die wesentlichen Kostentreiber. Gerade bei den Ausgaben für – ukrainische und andere – Geflüchtete hätten es die Landkreise aktuell mit einer wachsenden Kostendynamik zu tun: „Unsere Kernforderung nach einer vollständigen Übernahme der Unterkunftskosten für anerkannte Flüchtlinge durch den Bund ist noch immer unerfüllt.
Fünf Milliarden Euro mehr für die Unterbringung
Allein hier geht es 2022 und 2023 zusammen um 5 Milliarden Euro. Nur so können die betroffenen Landkreise, die die Unterbringung leisten, unmittelbar von den damit verbundenen Kosten entlastet werden“, erklärte der DLT-Präsident.
Kreise haben keine eigenen Steuereinnahmen
Für die Landkreise komme erschwerend hinzu, dass sie keine eigenen Steuereinnahmen haben und zudem bei der Erhebung der Kreisumlage durch das Bundesverwaltungsgericht sehr reglementiert seien. Sager zufolge „fordern wir deshalb, die Widerstandsfähigkeit der kommunalen Haushalte, insbesondere der Kreishaushalte gezielt politisch anzugehen. Dazu bedarf es einer Aufstockung der originären kommunalen Steuereinnahmen durch einen erhöhten Umsatzsteueranteil, die gezielt den Landkreisen zugutekommen sollte. Dabei muss man sich aber vom bisherigen wirtschaftsbezogenen Verteilungsmaßstab lösen und die Mittel nach Einwohnern verteilen.“
Verzwickte Lage
Wie der Verbandschef erläuterte, müssten die Landkreise einerseits in Anbetracht ihrer schwierigen Finanzsituation die Gemeinden stark über die Kreisumlage heranziehen, seien aber andererseits durch die Rechtsprechung dazu verpflichtet, den Gemeinden nicht deren möglicherweise letzte finanzielle Bewegungsfreiheit zu nehmen.
„Die Landkreise sind damit in einer komplizierten Lage. An das jeweilige Land können und müssen sie sich zwar im Hinblick auf die Sicherstellung einer angemessenen Finanzausstattung wenden, allerdings haben wiederum verschiedene Landesverfassungsgerichte und Länder dies unter den Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Landeshaushalts gestellt. Damit sitzen die Landkreise zwischen Baum und Borke und sind die eigentlich Leidtragenden. Das muss aufgelöst werden.“
Ablehnung der Krankenhausstrukturreform
Rundum abgelehnt wird vom Deutschen Landkreistag die Krankenhausstrukturreform in der derzeitigen Form. Befürchtet wird ein Kahlschlag bei den stationären medizinischen Versorgungsstrukturen in ländlichen Räumen, wenn der vorliegende Gesetzentwurf beschlossen werden sollte. Aus Sagers Sicht müssen die Krankenhäuser zunächst in ihrem Bestand gesichert werden. Hierzu bedürfe es einer zusätzlichen, umfassenden Liquiditätssicherung und einer massiven Erhöhung des Landesbasisfallwerts. Erst dann könne es um eine zukunftsfähige Krankenhausstruktur gehen, für die die Bundesregierung zügig eine Auswirkungsanalyse vorlegen muss.
Für den Präsidenten ist das grundsätzliche Problem der Krankenhausreform, im Moment eine „Black Box“ zu sein. Liest man den vorliegenden Entwurf, sei man danach kaum schlauer. „Die entscheidende Frage für uns ist, was die vorgeschlagenen Maßnahmen ganz konkret für die Städte, Landkreise und ihre Krankenhäuser bedeuten. Diese Antwort ist der Bund noch schuldig. Es gibt im Moment keine Analyse, was aber für ein so in die Lebenswirklichkeit der Menschen einschneidendes Gesetz selbstverständlich sein sollte.“
Die Versorgung in der Fläche müsse nach wie vor aufrechterhalten werden. „Es darf unter keinen Umständen zum Regelfall werden, dass das nächste voll ausgestattete Krankenhaus 80 Kilometer weit weg ist. Im Moment ist dieses Szenario nicht ausgeschlossen. Gerade in dünn besiedelten Landkreisen braucht es Krankenhäuser, in denen man auch mit kleineren Beschwerden ambulant versorgt wird.“
Freiheit bei den Krankenhausplanungen
In den ländlichen Räumen gebe es sehr leistungsfähige Krankenhäuser, die fachlich ebenso wie Häuser in Ballungsräumen in der Lage seien, zusätzliche medizinische Leistungen zu übernehmen. „Die darf man nicht schließen und Spezialbehandlungen nur noch in Großstadt-Kliniken anbieten. Das ginge an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. In den Landkreisen leben schließlich 68 Prozent der deutschen Bevölkerung“, verdeutlichte Sager. Die Länder benötigten deshalb Freiheit in der konkreten Ausgestaltung über die Krankenhausplanungen, sonst drohe die Reform auf jeden Fall zulasten der ländlichen Räume zu gehen.
Berücksichtigung der Vorhaltekosten
Die stärkere Berücksichtigung von Vorhaltekosten bei der Finanzierung sei demgegenüber ein richtiger Ansatz. Die tatsächliche Ausgestaltung lasse allerdings nicht erwarten, dass es dadurch zu wesentlichen Verbesserungen gerade für Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung kommen werde.
„Das Problem ist, dass es kaum Veränderungen für bedarfsnotwendige, aber besonders belastete Krankenhäuser in der Fläche geben wird. Die Vorhaltepauschalen müssten deshalb, um einen wirklichen Effekt zu haben, einen sehr viel höheren Anteil an der Finanzierung ausmachen.“
Mit Blick auf die Liquiditätshilfen von bis zu 6 Mrd. Euro, die im Rahmen des Krankenhaustransparenzgesetzes zugesagt worden sind, erklärte der DLT-Präsident: „Wir können nicht nachvollziehen, wie der Bund auf diese Summe kommt. Denn diese Mittel werden nicht ausreichen, um einen kalten Strukturwandel zu verhindern. Der unkontrollierte Wegfall von Kliniken und Versorgungsleistungen muss aber unbedingt vermieden werden.“
Allein die Landkreise müssten nach Schätzungen des Deutschen Landkreistags heuer 3 Mrd. Euro aufbringen, um als Krankenhausträger ihre Kliniken – also nicht private oder frei gemeinnützig betriebene – zu stützen.
„Wir müssen Zeit gewinnen, um mit einer wohl überlegten und gesteuerten Strukturreform die Situation zu verbessern und nicht voreilig Porzellan zu zerschlagen“, so Sager.
Mit zahlreichen Baustellen sehen sich die Landkreise auch beim Deutschlandticket konfrontiert. Sowohl bei der Einnahmeaufteilung als auch beim Defizitausgleich gehe es nicht voran und es müsse weiterhin auf Sicht gefahren werden. Wie das endgültige Finanzierungssystem aussieht, sei ebenfalls unklar. Präsident Sager zufolge „ist das für die Kunden, die kommunalen Aufgabenträger und die Verkehrsunternehmen ein unzumutbarer Zustand, der schleunigst beendet werden muss. Wir brauchen einen verlässlichen und auf Dauer angelegten Rechtsrahmen, der die deutschlandweite Anwendbarkeit des Tickets sicherstellt und Planungssicherheit schafft. Das gilt insbesondere für die finanziellen Fragen.“
Nachdem das Deutschlandticket zum 1.5.2023 gestartet ist, sei es weiterhin in seinen wesentlichen Bestandteilen ein Provisorium. „Bei der Aufteilung der Einnahmen des Tickets verharren wir immer noch in der ersten Stufe, bei der jeder seine jeweiligen Erlöse behält. Das ist kein Dauerkonstrukt, sondern muss erst noch ein belastbares System werden. Bislang sind die damit einhergehenden Verwerfungen vor Ort noch nicht spürbar, aber künftig werden auf diese Weise die Anreize gehemmt, den ÖPNV weiter auszubauen, da die Einnahmen nicht vor Ort bleiben“, stellte Sager fest und forderte, umgehend in die zweite Stufe der Einnahmeaufteilung nach Postleitzahlen einzusteigen.
Auch der Defizitausgleich, der bei dem auf 49 Euro begrenzten Preis an Bedeutung gewinnt, sei trotz vieler Bund-Länder-Gespräche eine weiterhin ungelöste Frage. Gesetzlich geregelt sei bislang nur, dass Bund und Länder bis 2026 jeweils 1,5 Mrd. Euro pro Jahr für den Ausgleich der Mindereinnahmen bereitstellen. Lediglich für 2023 bestand eine Nachschusszusage.
„Weil das Ticket erst mitten im Jahr gestartet ist, hatten wir 2023 noch kein Finanzierungsproblem. Deshalb konnte auch im laufenden Jahr bislang auf eine Tarifanpassung verzichtet werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die Restmittel aus 2023 für 2024 zusätzlich bereitgestellt werden, wofür die gesetzliche Grundlage nun zügig geschaffen werden muss.“
Für 2025 und darüber hinaus sei die Situation vollständig ungeklärt. „Das Risiko liegt nach derzeitiger Rechtslage damit weiterhin allein bei den kommunalen Aufgabenträgern. Denn infolge ihrer Tarifvorgabe gegenüber den Verkehrsunternehmen sind sie in vollem Umfang ausgleichspflichtig und können sich insoweit nicht auf einen Haushaltsvorbehalt berufen. Der einzige Ausweg aus kommunaler Sicht ist daher ein gesetzlicher Anwendungsbefehl in den ÖPNV-Gesetzen der Länder, aufgrund dessen die Länder den Aufgabenträgern gegenüber zum Ausgleich verpflichtet werden“, so Sager. Kommt dieser nicht, sei eine dauerhafte Teilnahme aller kommunalen Aufgabenträger an dem Deutschlandticket keinesfalls sichergestellt.
Auf Sicht fahren beim Deutschlandticket
Wie das endgültige Finanzierungssystem des Deutschlandtickets aussieht, sei insgesamt noch offen. Dazu gebe es derzeit nur eine grobe Vorstellung. In einer solchen Situation könne vorerst weiterhin nur „auf Sicht gefahren“ und die Tarifvorgabe seitens der Aufgabenträger nur jeweils befristet verlängert werden. „Das ist für alle Beteiligten höchst unbefriedigend und belastend. In Anbetracht der finanziell unsicheren Situation ist dieses Vorgehen der Aufgabenträger aber die vernünftigste Variante“, machte der DLT-Präsident abschließend deutlich.
DK
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