(GZ-8-2025 - 10. April) |
![]() |
► Ist unser System noch zukunftsfähig? |
Kommunale Haushalte am Limit |
Immer mehr kommunale Haushalte in Bayern ächzen unter wachsendem Druck. Die Einnahmen stagnieren oder sinken, während die Aufgaben der Kommunen und ihre Ausgaben in rasantem Tempo steigen – eine fatale Schere, die sich seit Jahren weiter öffnet. Auf einer prominent besetzten Veranstaltung des Jungen Wirtschaftsbeirat Bayern und des PresseClubs München diskutierten in den Räumlichkeiten der BayernLabo in München Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Verwaltung darüber, ob die kommunale Finanzarchitektur noch tragfähig ist – und wie sie reformiert werden kann.
V.l.: Christian Wunderlich, BayernLabo, Landrat Stefan Rößle, Landkreis Donau-Ries, Constanze von Hassel, PresseClub München und Bayerische GemeindeZeitung, Finanz- und Heimatminister Albert Füracker, Vinzent Ellissen, Junger Wirtschaftsbeirat und Prof. Dr. Thiess Büttner, FAU. Bild MH
Vom Rhythmus zur Resilienz?
Einen radikalen Perspektivwechsel forderte Vinzent Ellissen, Vorstand im Jungen Wirtschaftsbeirat Bayern. Mit dem Leitbild eines „Bayerischen Betriebssystems“ zeichnete er die Vision einer resilienten, dezentralen, transparenten und digital organisierten öffentlichen Verwaltung. Sein Plädoyer: „Wir brauchen ein echtes Upgrade – kein Weiter so.“ Dafür schlug er ein klares Prinzip vor: Solide, solidarisch und subsidiär. Förderprogramme seien oft Bürokratie-Treiber ohne spürbare Wirkung. Stattdessen müsse Geld zweckgebunden direkt für konkrete Ziele zur Verfügung stehen – ohne Umweg über überregulierte Antragsverfahren.
Ellissen warnte vor einem Systemversagen: „Wir erleben wirtschaftliche Rhythmusstörungen in den Kommunen – die Herzkammer der Demokratie kommt aus dem Takt.“ Künftige Herausforderungen wie KI, Robotik und Strukturwandel würden bestehende Einnahmemodelle weiter unter Druck setzen. „Zwei neue Jobs ersetzen 2.000 alte – das ist die Realität.“ Ohne mutige Strukturreformen werde Bayern an Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt verlieren.
Finanzminister Füracker: „Wir müssen lernen, mit Unsicherheit zu leben“
Finanzminister Albert Füracker zeigte sich offen für neue Impulse, wies aber auch auf die Komplexität der Probleme hin: „Es gibt nicht die eine Wahrheit. Politik ist kein Schwarz-Weiß.“ Zwar seien Förderprogramme teils ineffizient, doch würden sie vielerorts gewünscht. Die Forderung, Förderstrukturen abzuschaffen, sei politisch schwer umzusetzen: „Alle wollen es abschaffen – bis sie merken, dass dann etwas fehlt.“
Füracker betonte die Notwendigkeit einer nachhaltigen Haushaltspolitik: „Schulden dürfen wir machen – aber Zins und Tilgung müssen wir selbst tragen, nicht unsere Kinder.“ Er wies darauf hin, dass Bayern im Bundesvergleich mit rund 4 Prozent Verschuldung am BIP vorbildlich dastehe, während der Bund mit 62 Prozent die Maastricht-Grenzen reißt. Und er bestätigte: „Unser soziales System steht an einem Kipppunkt – wir können uns nicht mehr alles leisten.“
Eine Diagnose mit Rhythmusstörungen
„Viele Kommunen haben inzwischen Herzrhythmusstörungen, bei manchen ist sogar die Herzklappe kaputt“, bestätigte Landrat Stefan Rößle (Landkreis Donau-Ries). Als Vorsitzender des Finanzausschusses im Bayerischen Landkreistag kennt er die Zahlen: Die Sozialausgaben stiegen zuletzt um über 40 Prozent, die Personalkosten um 35 Prozent, die Bau- und Energiekosten explodieren. Trotz gestiegener Zuweisungen des Freistaats könne die kommunale Familie die wachsenden Lasten kaum noch stemmen. „In meiner Amtszeit, die nun schon bald 24 Jahre währt, hat sich die Belegschaft der Verwaltung verdoppelt“, so Rößle – und dennoch sei kein Ende der Bürokratisierung in Sicht.
Wissenschaftlicher Realismus: Die Lage ist prekär
Eine volkswirtschaftliche Analyse lieferte Prof. Dr. Thiess Büttner von der Friedrich-Alexander-Universität. Er konstatierte für 2024 ein Defizit von 25 Milliarden Euro allein auf kommunaler Ebene – ein Viertel des gesamtstaatlichen Defizits. Die Ausgaben, insbesondere im Sozialbereich, steigen deutlich schneller als die Einnahmen. Bayern sei dabei besonders betroffen: Der Strukturwandel, Deindustrialisierung und steigende Arbeitslosigkeit belasten den Freistaat überdurchschnittlich.
Büttner forderte eine grundlegende Reform des kommunalen Finanzierungssystems – insbesondere eine Aufstockung der Umsatzsteueranteile für Kommunen. Gleichzeitig mahnte er zur Ausgabendisziplin und warnte vor ineffektiven Infrastrukturprogrammen: „Die Lage ist ernst – kosmetische Maßnahmen werden nicht reichen.“
Zwischen Staatskunst und Alltagswirklichkeit
In der anschließenden Podiumsdiskussion unter Leitung von Constanze von Hassel (PresseClub München, Bayerische GemeindeZeitung) wurde deutlich: Die Probleme sind erkannt, die Reformansätze vorhanden – doch der politische Mut zur Umsetzung fehlt oft. Hassel zitierte provokant: „Rom ging nicht an äußeren Feinden zugrunde, sondern an Geldentwertung, Korruption und Dekadenz.“ Minister Füracker konterte gelassen: „So weit sind wir noch nicht.“
Dass der Druck auf die Kommunen weiter steigt, bestätigte auch Rößle: Die Umsetzung von Bundesgesetzen, etwa im Pflege- oder Wohngeldbereich, werde zunehmend zum Problem – insbesondere, wenn Personalstellen nicht mitfinanziert würden. Auch die Frage, ob man sich in Deutschland zu viel Infrastruktur leiste, blieb nicht unbeantwortet: „Man muss auch mal Dinge pflegen – nicht nur neu bauen“, so Füracker.
Fazit: Kurswechsel nötig – aber nicht einfach
Der Tenor der Veranstaltung war eindeutig: Das bisherige System der kommunalen Finanzierung steht vor dem Kollaps. Reformen sind unumgänglich – sei es durch eine verlässliche Konnexitätsregel, durch Umschichtung von Umsatzsteuerpunkten oder durch radikalen Bürokratieabbau. Gleichzeitig braucht es politischen Realismus: Nicht jede Vision ist sofort umsetzbar, nicht jeder Wunsch finanzierbar. Man müsse differenzieren, so der Finanzminister, zwischen dem was notwendig sei, an dem kein Weg vorbeiführe, und dem was lediglich wünschenswert ist.
Bleibt die Frage: Wann kommt das „bayerische Upgrade“, von dem Ellissen spricht – und wer programmiert es?
MH
Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?
Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!