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(GZ-11-2020)
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► Fachgespräch „Kindeswohl in Corona-Zeiten“:

 

Lokale Bündnisse zum Wohl der Kinder

 

Kinder brauchen soziale Kontakte – darüber waren sich die Teilnehmer des Fachgesprächs „Kindeswohl in Corona-Zeiten“ im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie einig. Deshalb sei auch die schrittweise Öffnung richtig. Doch die Angst vor Infektionen dürfe die Betreuung und Erziehung der Kinder nicht beeinträchtigen. An die Kommunen wurde der Appell laut, im Rahmen von unbürokratischen Bündnissen Kinder und Jugendliche in der Krise zu unterstützen.

In Krisenzeiten leiden vor allem Familien, die auch sonst benachteiligt seien. Diese zu identifizieren und stärker zu unterstützen habe Priorität, sagten die Vorsitzenden des Sozialausschusses, Doris Rauscher (SPD) und Thomas Huber (CSU). Im Fachgespräch mit Experten tauschten sich die Abgeordneten vertieft zu den psychischen Auswirkungen auf Kinder in der Krise aus. Die Erkenntnisse sollen nun in das Konzept des Bayerischen Staatsministeriums für Soziales mit einfließen und damit für Einrichtungen, Träger und Kommunen vor Ort Handreichungen entwickelt werden. Anhand der Vorgaben soll die schrittweise Öffnung umgesetzt werden und dabei das Kindeswohl im Mittelpunkt stehen.

Kommunikationswege

Familien hätten mehr Wertschätzung vom Staat verdient, da Kinder wochenlang nur als „regelungsbedürftiges Objekt“ wahrgenommen wurden, kritisierte der stellvertretende Vorsitzende des Kinderschutzbundes Landesverband Bayern e.V., Jens Tönjes, die Politik zu Beginn. Schulen und Kindertagesstätten seien nicht bloß „Verwahranstalten“, sondern Orte des sozialen Lernens. Er warnte davor, davon auszugehen, dass Kinder während der Schulschließung zuhause Versäumnisse aufgeholt hätten. Kinder und Eltern dürften mit dem Schulbeginn nicht überfordert werden. Deshalb sei es wichtig, Kommunikationswege für Kinder und Jugendliche zu schaffen, wie die Einrichtung von Sorgentelefonen und Online-Chats. Aber auch Jugendzentren müssten unter entsprechenden Auflagen wieder öffnen. „Junge Menschen brauchen einen sicheren Ort. Wenn sie den zuhause nicht haben, verlieren wir sie sonst“, gab er zu Bedenken.

Appelle an Kommunen

Tönjes appellierte an lokale Bündnisse in den Kommunen, um Kinder und Jugendliche zu unterstützen. „Wir müssen dazu alle lokalen Ressourcen zusammenführen, indem Entscheidungsträger vor Ort an einen Tisch kommen“, empfahl er. Die Beteiligten müssten dabei langfristig und vor allem unbürokratisch vorgehen, wie personelle und räumliche Ressourcen verteilt werden könnten. So müsse eine Kinderbetreuung vielleicht auch in einer Volkshochschule in Betracht gezogen werden. Die Verantwortung für den Erfolg läge aber vor allem bei den Landes- und Kommunalpolitikern. „Es ist die Aufgabe der Politik, dieses unbürokratische Vorhaben als politischen Willen zu formulieren und in die Fläche zu bringen. Nur dann merken die Menschen, dass das auch politisch gewollt ist“, sagte er.

Hilfsbedürftige identifizieren

Dr. Nina Sellerer, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, machte darauf aufmerksam, dass ein entscheidendes Problem in der Krise darin liege, Familien überhaupt erst ausfindig zu machen, in denen es keine „Elternkompetenz“ gebe. Diese müssten gezielt – beispielsweise von Betreuern in den Kindertagesstätten – angesprochen werden und aktiv eine Notbetreuung angeboten bekommen. „Ich appelliere daher ausdrücklich an die Kitas, aktiv zu entscheiden, welche Kinder eine besondere Betreuung benötigen“, sagte sie.

Prof. Dr. Volker Mall, TU München, kbo-Klinikzentrum, stellte fest, dass vor allem Familien betroffen seien, die auch sonst im Abseits stehen würden und benachteiligt seien. So habe das Klinikzentrum beispielsweise die Telefon-Sprechzeiten für Familien mit Schreibabys auf die komplette Woche ausgeweitet, zumal fünfmal so viele Anrufe wie in normalen Zeiten bei den Mitarbeitern eingingen. Seine Botschaft lautete: „Die Belastung für Eltern wird in den kommenden Monaten weiter zunehmen, während die Kompensation erheblich abnimmt. Deshalb müssen wir Telefonseelsorge und auch die Zusammenarbeit mit den Jugendämtern weiterverfolgen und verstärkt Notfallsprechstunden einrichten.“ Denn vor allem die psychosoziale Situation von Eltern mit prekärem Hintergrund verschlechtere sich in Krisenzeiten und wirke sich negativ auf Kleinstkinder aus.

Engere Vernetzung

Die Forderung von Julika Sandt (FDP) zu einem Monitoring zur psychischen Gesundheit mit Fokus auf die Auswirkungen von Isolation unterstützte Mall. Am Klinikum seien dazu Arbeitsgruppen gegründet worden, denn vor allem zu Kindern, die jünger als 14 Jahre seien, gebe es aktuell noch zu wenige Studien. Die Sorge von Katrin Ebner-Steiner (AfD) welche Auswirkungen die Maskenpflicht auf Säuglinge während der Geburt habe, konnte er entkräften. Auch wenn es eine Belastung für die Mutter sei, werde das Kind dadurch nicht traumatisiert. Sylvia Stierstorfer (CSU) betonte, wie wichtig eine noch engere Vernetzung und Ergänzung der bestehenden Strukturen sei. Mall erläuterte dazu die Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium.

„Wir entwickeln derzeit ein Konzept, das in den Kinderpraxen ansetzt. Sie sind die einzigen Einrichtungen, in denen Ärzte Kinder im ersten Lebensjahr mehrfach sehen“, erklärte er. Stellten sie einen besonderen Betreuungsbedarf fest, könnten sie diesen direkt an die entsprechenden Partner weitergeben, wie beispielsweise das Jugendamt.

Vorteil: Online-Lernmethoden

Siegmund Hammel, Leiter des Jugendamtes im Landkreis Eichstätt, ist mit den Mitarbeitern der Jugendämter und Trägern von Einrichtungen bayernweit per Videokonferenz in engem Austausch. Gemeinsam erprobten sie neben schichtweisen Arbeitsmodi auch Modelle, um Heimbesuche zu ermöglichen. Er konnte auch Vorteile in der Krise ausmachen. „Bestimmte Online-Lernmethoden motivieren einige Jugendliche deutlich mehr als klassische Präsenz im Unterricht“, sagte er. Wichtig sei, differenziert auf die Situation von Familien zu schauen, da sie sehr unterschiedlich mit der Krise umgingen. Einige kommen mit der Selbstorganisation und dem gesunkenen schulischen Druck besser zurecht als andere. Die Betreuung müsse daran angepasst werden. Auch Notfalllisten müsse es geben, die dokumentieren, wo Hausbesuche oder ein täglicher Kontakt per Videoschalte unbedingt nötig seien. Er bedauerte, dass beispielsweise nicht an allen Grundschulen Sozialarbeiter seien. Sie könnten den Zugang zu Kindern erleichtern.

Notbetreuung sicherstellen

Thomas Huber (CSU, stellvertretender Ausschussvorsitzender), machte deutlich, dass fraktionsübergreifender Konsens darüber herrsche, dass entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Das zeigten beispielsweise die Corona-Sonderregelungen sowie die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes. „Unsere Aufgabe besteht jetzt vor allem darin, Familien ohne Elternkompetenz stärker in den Blick zu nehmen“, kündigte er an. Mall verwies auch auf Risikogruppen, wie zum Beispiel Eltern mit autistischen Kindern.

Der Grünen-Abgeordnete Johannes Becher kritisierte, dass bei der Notbetreuung als Abgrenzungskriterium nicht der Beruf der Eltern gelten dürfe, sondern die jeweilige Situation der Familie beurteilt werden müsse. „Es geht nicht darum, ob jemand systemrelevant ist, sondern ob er in der Lage ist, sich selbst zu organisieren“, sagte er. Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll, Direktorin des Staatsinstitut für Frühpädagogik erwartet für die kommenden Monate, dass die Menschen auch wieder verstärkt in die Praxen kommen, was auch wegen anstehender Impfungen wichtig sei. Keiner dürfe dabei aus Angst, sich beim Arzt anzustecken, krank zuhause bleiben. Vorsitzende Rauscher pflichtete ihr bei, dass es auch Aufgabe der Politik sei, angstfreies Verhalten im Alltag zu fördere: „Wir dürfen uns nicht von der Angst regieren lassen.“

red

 

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