Laut Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller „liegt es an uns, entschlossen auf diese Herausforderungen zu reagieren. Deswegen werden wir die deutsche Entwicklungszusammenarbeit neu ausrichten.“ In dem Strategiepapier „Entwicklungspolitik 2030“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind die Grundzüge dieser Neukonzeption dargestellt.
Neun Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050
Jedes Jahr wächst die Weltbevölkerung um 80 Millionen Menschen; 90 Prozent entfallen dabei auf die Entwicklungs- und Schwellenländer. Bis 2050 werden rund 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben und sich die Bevölkerung Afrikas verdoppelt haben. Das sprunghafte Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern bringt große Herausforderungen, aber auch enorme Chancen durch das Entstehen einer massiven Investitionsnachfrage. Notwendig ist laut BMZ eine neue intelligente Infrastruktur in Bau, Handel, Transport, Bildung, Gesundheit und Beschäftigung. Allein auf dem afrikanischen Kontinent sind jährlich 20 Millionen neue Jobs für die wachsende junge Bevölkerung notwendig.
Flucht und Migration sind eine langfristige und weltweite Herausforderung. Mehr als 68 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. 85 Prozent von ihnen finden Aufnahme in den Entwicklungsländern. Bevölkerungsentwicklung, Kriege, Hunger, Klimaveränderung und Perspektivlosigkeit gerade für die junge Generation sind die Auslöser.
„Handeln wir nicht entschieden durch eine Stärkung unserer langfristigen Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit und eine Neugestaltung der Handelsbeziehungen zur Schaffung von Zukunfts- und Bleibeperspektiven vor Ort, werden sich möglicherweise bald nicht nur Tausende, sondern Millionen Menschen in Richtung Europa aufmachen“, heißt es in dem Papier. Auch die Zahl der Migranten – mittlerweile mehr als 240 Millionen – steigt. Häufig spielen die persönliche wirtschaftliche Lage und ein Mangel an Perspektiven im Herkunftsland eine wesentliche Rolle.
Schaffung von Bleibe-, Rückkehr- und Zukunftsperspektiven
Das BMZ arbeitet weltweit kurz-, mittel- und langfristig in Krisen- und Notstandsgebieten. Ziel ist die Schaffung von Bleibe-, Rückkehr- und Zukunftsperspektiven durch die unmittelbare Unterstützung von Flüchtlingen zum Überleben, den Aufbau von Infrastruktur, Bildung und Beschäftigung, die Förderung der Privatwirtschaft und guter Regierungsführung sowie durch freiwillige Rückkehr und Reintegration.
Von den Vorhaben des Bundesministeriums im Bereich der Krisenbewältigung profitieren weltweit bis zu 10 Millionen Menschen, darunter mindestens 3,7 Millionen Kinder und Jugendliche. Deutschland zählt zu den größten Gebern im Krisenbogen Syrien und ist für Jordanien, den Libanon, den Irak und die Türkei einer der bedeutendsten Partner für die Unterstützung syrischer Flüchtlinge und ihrer aufnehmenden Gemeinden:
1. Das BMZ sichert Überleben: Ernährungssicherung für mehr als 8 Millionen Menschen; Aus- und Fortbildung von 1 Million Kleinbauern; Sicherung von Landrechten von rund einer halben Million Menschen.
2. Aufbau von Infrastruktur: Wasser- und Sanitärversorgung für rund 200 Millionen Menschen; erneuerbare Energieversorgung für 16 Millionen Menschen; in Marokko größtes Solarkraftwerk der Welt für mehr als 1,3 Millionen Menschen; Gesundheitsversorgung für 65.000 Flüchtlinge im Nordirak.
3. Investitionen in Bildung und Beschäftigung mit Rückkehrmöglichkeit: Finanzierung von 17.000 Lehrern in der Türkei und in Jordanien ermöglicht Schulunterricht von 370.000 Kindern in der Region. In Ost-Mossul wurden 115 Schulen wieder aufgebaut, in denen 54.000 Kinder zur Schule gehen können. Verbesserung der Ausbildung von 50.000 Menschen in Zusammenarbeit mit 100 Berufsschulen in Ägypten. Die Beschäftigungsoffensive Nahost (Cash for Work) hat in den vergangenen beiden Jahren mehr als 140.000 Jobs geschaffen. Über 270.000 Binnenflüchtlinge konnten mit Unterstützung des BMZ im Irak bereits in ihre Heimat zurückkehren.
Mit dem Gesamtansatz „Perspektive Heimat“ verbessert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Lebenssituation der Menschen vor Ort. Die Angebote richten sich an alle Menschen in den Partnerstaaten: Einheimische, Flüchtlinge/Binnenvertriebene und Rückkehrer aus Deutschland. Um diese Menschen gezielt zu vermitteln und zu qualifizieren, wurden Beratungszentren auf dem Westbalkan (Albanien, Kosovo, Serbien), in Nord- und Westafrika (Ghana, Marokko, Senegal, Tunesien, Nigeria) sowie im Irak eingerichtet. Weitere sind in Ägypten und Pakistan geplant. Sie sind erste Anlaufstelle für Einheimische, Flüchtlinge und Rückkehrer und Schnittstelle zu den lokalen Arbeitsagenturen und –angeboten.
Schwerpunktkontinent Afrika
„Neben den globalen Herausforderungen in Asien und Lateinamerika ist Afrika mit jährlichen Zusagen von mehr als 2 Milliarden Euro Schwerpunktkontinent unserer Zusammenarbeit. Denn Europas Zukunft wird in Afrika mitentschieden“, betont Minister Müller.
Die Zahlen sind alarmierend: Bis 2050 wird sich die Bevölkerung Afrikas auf 2,5 Milliarden Menschen verdoppeln; 22 der 25 ärmsten Länder liegen nach dem Human Development Index des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) in Afrika. Noch immer hungern dort mehr als 200 Millionen Menschen. Zwei Drittel aller Afrikaner haben keinen Zugang zu Strom, bis zum Jahr 2050 wird mit bis zu 85 Millionen Klimaflüchtlingen in Afrika gerechnet. Mehr als 20 Prozent aller Kinder und mehr als ein Drittel aller Jugendlichen gehen nicht zur Schule, jedes Jahr kommen 20 Millionen Jugendliche neu auf den Arbeitsmarkt. Zudem fließen jedes Jahr 50 Milliarden US-Dollar illegal aus Afrika ab.
„Nur wenn wir die großen Herausforderungen Afrikas gemeinsam erfolgreich bewältigen, werden wir die Ziele des Weltzukunftsvertrags und der Agenda 2063 der Afrikanischen Union erreichen. Wir setzen dabei auf eine Stärkung der Eigenverantwortung der afrikanischen Staaten und auf eine Entwicklung, die alle einbezieht und von den Potenzialen der eigenen Bevölkerung vorangetrieben wird“, informiert das BMZ. Grundlage hierfür seien der Marshallplan mit Afrika, der Compact with Africa und der neue Partnerschaftsvertrag der EU mit Afrika (Nachfolge Cotonou-Vertrag). Weitere Partner sind multilaterale Akteure wie der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Afrikanische Entwicklungsbank.
Marshallplan mit Afrika
Der Marshallplan mit Afrika und der Compact with Africa haben einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Nicht mehr kleinteilige Einzelprogramme stehen im Vordergrund, sondern integrierte Gesamtkonzepte für eine nachhaltige Entwicklung aller Politikfelder. Schwerpunkte bilden die Reformpartnerschaften mit Côte d’Ivoire, Ghana und Tunesien. Die Aufnahme weiterer Reformpartnerschaften wird geprüft. Dabei arbeitet das BMZ anhand von Kriterien für Korruptionsbekämpfung, Rechtsstaatlichkeit und für die Einhaltung der Menschenrechte.
Erst das Erreichen konkret vereinbarter Meilensteine, wie beispielsweise die Einrichtung staatlicher Institutionen oder aber die Verabschiedung von Gesetzen, führen zu einer zusätzlichen finanziellen Förderung. Denn aus Sicht des BMZ muss Afrika selbst auch mehr leisten und seine Reformagenda 2063 konsequent umsetzen. Notwendig sind darüber hinaus eine internationale und europäische Offensive in der Afrikapolitik, ein wesentlich stärkeres finanzielles Engagement der Europäischen Union, die Institutionalisierung der politischen Beziehungen in einem EU-Afrika-Rat, eine Investitionsoffensive und neue faire Rahmenbedingungen für die Handelsbeziehungen.
Agenda 2030
Bundesminister Müller zufolge wird die deutsche Entwicklungspolitik mit dieser Neuausrichtung in der Entwicklungszusammenarbeit entsprechend der Agenda 2030 und dem Pariser Klimaabkommen zum Querschnitt der gesamten Politik. „Denn Globalisierung kann und muss gerecht gestaltet werden. Jede und jeder Einzelne von uns – in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – kann und muss seinen Beitrag dafür leisten.“
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