Aus den Kommunenzurück

(GZ-11-2021)
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► Projekt „AB jetzt inklusiv“ läuft auch in der Krise gut:

 

Die Chefs halten die Stange

 

Entlassung ist trotz Pandemie kein Thema bei jenen Firmen, die mit dem Projekt „AB jetzt inklusiv“ der Lebenshilfe Werkstätten Schmerlenbach kooperieren. Fast alle Menschen mit Behinderung werden in diesen Betrieben weiterbeschäftigt. „Das ist wirklich bewundernswert“, äußerte Ulrich Brückner von der Sozialverwaltung des Bezirks Unterfranken, der im letzten Sozialausschuss darüber berichtete, wie gut in Unterfranken die Inklusion von Menschen mit Handicap in den Sozialraum gelingt.

Wer früher in einer Werkstätte war, hatte oft das Gefühl, in eine Sackgasse geraten zu sein. Nur selten führte der Weg nach draußen – also dorthin, wo „ganz normale“ Menschen arbeiten.

Dies ist mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar. Weshalb der Bezirk 2014 daran ging, Wege in den sogenannten „Sozialraum“ zu öffnen. Menschen mit Behinderung sollen nicht mehr morgens abgeholt und in eine Werkstätte gefahren werden. Sie sollen arbeiten, wo sie wohnen, und dort das tun, was sie interessiert.

Ging man früher oft davon aus, dass mehr als Werkstatt unmöglich zu erreichen ist, stellte sich durch die Bezirksinitiative namens SONI heraus: Es gibt viele Jobs „mitten im Leben“, die auch Menschen machen können, die kognitiv eingeschränkt sind. Mit „AB jetzt inklusiv“ bieten die Lebenshilfe Werkstätten Schmerlenbach laut Brückner seit Anfang 2018 Arbeitsplätze am Untermain an: „Aktuell werden 18 Personen fest beschäftigt.“ Zusätzlich seien in den letzten drei Jahren 46 Teilnehmer in einem Praktikum begleitet worden: „Etwa die Hälfte entschied sich im Anschluss für einen inklusiven Arbeitsplatz.“

Zu wissen, wofür man sich morgens aus dem Bett rappelt, ist für die meisten Menschen wichtig. Das Aufstehen fällt umso leichter, je lieber man das tut, was ansteht. Menschen mit Handicap, die dort, wo sie leben, einen Job ergattert haben, sind meist hochmotiviert bei der Sache. Davon berichtete am Rande des Sozialausschusses Jutta Oster, die den Fachdienst „AB jetzt inklusiv“ leitet. Eben dies sei auch der Grund, weshalb am Untermain, anders als in anderen Regionen, kaum jemand entlassen wurde. Die betreffenden Mitarbeiter hätten bewiesen, „dass ihre Arbeitskraft und sie als Person in den Betrieben wichtig sind“.

Rettung inklusiver Jobs

Trotz großer Verunsicherung durch die Corona-Krise wäre es für die Firmen „sowohl organisatorisch und wirtschaftlich als auch menschlich“ kaum vertretbar gewesen, Kündigungen auszusprechen. Sie nahmen im Gegenteil oft einen erheblichen Aufwand in Kauf, um die inklusiven Jobs zu retten.

Oster: „Viele Arbeitsplätze mussten umorganisiert oder den Covid-19-Infektionsschutzbestimmungen entsprechend nachgerüstet werden.“ Lediglich ein Arbeitgeber sei nicht bereit gewesen, die Veränderungen mitzugehen: „Dieser Arbeitsplatz ging uns leider verloren.“ Ein weiterer Chef konnte den Mitarbeiter aufgrund ausfallender Einnahmen nicht weiterbeschäftigen.

Während junge Leute mit durchschnittlicher Intelligenz die Qual der Wahl haben, was sie einmal werden möchten, ist das Berufsfeld für Menschen mit geistiger Behinderung stark eingeschränkt. Dennoch finden sich Nischen. „Viele unserer Inklusiv-Mitarbeiter arbeiten in Seniorenheimen oder in der Industrie“, berichtet Jutta Oster. Dass vor allem solche Jobs aufgetan wurden, sei nun ein großes Glück: „Wir haben kaum inklusive Arbeitsplätze in Bereichen, die durch die Pandemie sehr gefährdet waren.“ „AB jetzt inklusiv“ kooperiert derzeit weder mit reinen Gastronomiebetrieben noch mit dem Hotelgewerbe.

Beruf trotz Handicap

Doch ist es nicht womöglich ein Fehler, Inklusionsprojekte ausgerechnet an eine Werkstätte für behinderte Menschen anzudocken? Dies merkte Christina Feiler, stellvertretende Behindertenbeauftragte des Bezirks, im Sozialausschuss kritisch an: „Der Weg über die Werkstätte bedeutet zunächst Exklusion, bevor es zur Inklusion kommt.“ In anderen Ländern landeten Personen mit Handicap nicht automatisch in einer Sondereinrichtung. Junge Leute mit Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt könnten sich in Österreich zum Beispiel an Jugendcoachs wenden.

Auch in Schweden sei es leichter, seinen Platz im Beruf trotz Handicap zu behaupten. Der Einstieg gelinge über staatliche Vermittler. Kritisch sieht die Behindertenbeauftragte auch, dass durch die unterfränkischen Inklusionsprojekte kaum in sozialversicherungspflichtige Jobs vermittelt werde. Was Jutta Oster bestätigt: „Allerdings konnten wir ausgerechnet in diesen turbulenten Zeiten einen Mitarbeiter auf einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz vermitteln, was für uns 2020 ein Highlight war.“

Leistungsdruck und Handicap, das geht für viele Chefs laut Oster nicht zusammen. „Es scheint den Betrieben leichter zu fallen, zusätzliche, unverbindlichere Stellen für Menschen mit Behinderung zu eröffnen, anstatt ihnen eine feste Stelle anzubieten und dauerhaft zu finanzieren“, beobachtet sie. Auf der anderen Seite wünschten viele Teilnehmer am Projekt „AB jetzt inklusiv“ gar keinen sozialversicherungspflichtigen Job. Ihnen sei das „Sicherungsnetz“ des Projekts oder der Werkstätte wichtiger: „Wir hoffen, dass bei nachfolgenden Generationen die Bereitschaft größer wird, den Schritt nach draußen zu wagen.“

Pat Christ

 

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