Aus den Kommunenzurück

(GZ-6-2021)
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► Tür an Tür – miteinander wohnen und leben e.V.:

 

Projektbetreuung mit Herz und Verstand

 

Am Anfang standen eine Idee und viele Engagierte. Vor knapp 30 Jahren wurde der Verein „Tür an Tür – miteinander wohnen und leben“ gegründet. Aus dieser mutigen Initiative ist eine Institution gewachsen, die aus der Augsburger Flucht- und Migrationsarbeit nicht mehr wegzudenken ist. Tür an Tür (TaT) will die Lebensbedingungen und die Inklusion von Geflüchteten und Migranten verbessern. Gleiches gilt für einkommensschwache Personen.

TaT-Vorstand Tommi Körner-Wilsdorf mit Anne Güller-Frey vom MigraNet – IQ Netzwerk Bayern.
TaT-Vorstand Tommi Körner-Wilsdorf mit Anne Güller-Frey vom MigraNet – IQ Netzwerk Bayern.

„Unser Ziel ist es, ihre gesellschaftliche Teilhabe zu stärken und ihre Möglichkeiten zu erweitern, für sich selbst zu sprechen, zu handeln und zu sorgen. Gleichzeitig wollen wir mit unseren öffentlichkeitswirksamen Projekten und Aktionen die Akzeptanz und Inklusionsbereitschaft der Gesellschaft erhöhen“, betont Gründer und ehrenamtlicher Vorstand Tommi Körner-Wilsdorf, der nun ein weiteres Erfolgsprojekt auf die Beine stellen will.

Seit Jahren haben finanziell schlechter gestellte Augsburger zunehmend Schwierigkeiten, angemessenen Wohnraum zu finden. Mit einem neuen Projekt will die gemeinnützige „Tür an Tür – miteinander wohnen und leben gGmbH“ günstigen Wohnraum schaffen, das soziale Miteinander fördern und einen bürgerschaftlichen Impuls im Quartier geben.

Circa 20 Wohneinheiten geplant

Auf einem Grundstück der ehemaligen FLAK-Kaserne in Kriegshaber, die die Stadt Augsburg sozialen Initiativen anbietet, sollen laut Körner-Wilsdorf ca. 20 Wohneinheiten gebaut werden.

Der Plan: Größere Wohnungen werden mit kleineren Wohnungen oder Appartements kombiniert. Jede Wohnung verfügt über einen kleinen Balkon. Der Garten, die Laubengang-Erschließung mit Balkonen und die Dachterrasse bilden Räume für Begegnungen. Die Mieter kommen aus möglichst unterschiedlichen Lebenssituationen und Familienkonstellationen.

Sie leben allein, alleinerziehend, als Paar, als Familie oder in einer Wohngemeinschaft. Es mischen sich Alt und Jung, Alteingesessene und Zugezogene.

Einige Appartements sollen auf Zeit vermietet werden, damit etwa Auszubildende, Pflegekräfte des benachbarten Klinikums, zugewanderte Fachkräfte, FSJ-ler oder Studierende guten Wohnraum finden.

Generationsübergreifende Wohnformen sind ebenso erwünscht wie Mieter, die sich gegenseitig im Alltag unterstützen. Für das Quartier sind offene Angebote für Kinder und Jugendliche wichtig. Diese nutzen bisher vor allem die nahen Grünanlagen. Auch das soziale Miteinander in der heterogenen Nachbarschaft soll verbessert werden.

„Wir planen bereits zusammen mit der Siedlungsgenossenschaft Augsburg-Firnhaberau, die nebenan bauen will. Die vorgeschriebene Tiefgarage errichten wir gemeinsam“, berichtet Körner-Wilsdorf.

Soziales Miteinander

Kommunikation und soziales Miteinander im Haus und im Quartier sollen mit Mietern, Akteuren des Universitätsklinikums, mit lokalen Initiativen und der Nachbarschaft entwickelt und durch zahlreiche Bausteine gefördert werden. Dazu zählt ein Gemeinschaftsraum, der als nichtkommerzielles „Café“ mit Terrasse von Mietern, Freiwilligen und Nachbarn gemeinsam genutzt wird. Täglich geöffnet, sind dort auch Veranstaltungen und Feiern vorgesehen. Wer sich als Mieter hier ehrenamtlich engagiert, darf etwas günstiger wohnen.

Geplant sind rollstuhltaugliche Wohnungen, ein betreuter Mini-Abenteuer-Spielplatz, ein Spielwagen für Kinder und Jugendliche, eine Fahrradwerkstatt im Kellergeschoss sowie eine Dachterrasse mit Orangerie, Gewächshaus, Kräuter- und Gemüsebeeten, Vogelhäuschen und Bienenstock. Das Mobilitätskonzept umfasst E-Bikes, Fahrradanhänger, Lastenrad und
ein Car-Sharing-Angebot. Zudem will der Vorstand ein ehrgeiziges ökologisches Energiekonzept (40+) mit Fernwärme und Photovoltaik umsetzen. Körner-Wilsdorf zufolge ist die soziale Begleitung des Wohnprojekts angedacht.

„Das soziale Miteinander soll sich allmählich entwickeln und auch an wechselnde Bedürfnisse anpassen können.“ Die Projektideen wurden in Workshops mit ehren- und hauptamtlich Engagierten aus den Arbeitsbereichen Wohnungssuche, Wohnsitzlosenarbeit, Migrations- und Flüchtlingsberatung sowie der sozialen Stadtentwicklung entwickelt.

„Wir wollen gemeinwohlorientiert, nachhaltig und naturschonend bauen und wirtschaften. Das Projekt soll von Tür an Tür realisiert und auch in Zukunft von einer Gruppe engagierter Bürger begleitet werden.“

Workshops

Inzwischen veranstaltete TaT bereits einige Workshops mit Interessierten und ehrenamtlich Engagierten. Die Augsburger Architekten „Gilg, Peer und Wolff“ übersetzten das erarbeitete Konzept in eine erste Planskizze.

Alle weiteren Planungsschritte können zu Änderungen führen. So werden z.B. die Grundrisse und die Größe der einzelnen Wohneinheiten immer wieder diskutiert.

„In den laufenden Verhandlungen mit den freundlich gesonnenen städtischen Ämtern und mit den Zuschussgebern suchen wir nach den besten und sozialsten Lösungen“, informiert Körner-Wilsdorf.

Die Finanzierung setzt sich aus Zuschüssen für den Sozialen Wohnungsbau, aus Darlehen von privaten Unterstützern, Bankkrediten und Spenden zusammen. Sponsoren und Unterstützer sind jederzeit willkommen. Näheres zum Projekt unter info@tuerantuer.de.

Begonnen hat die Arbeit von Tür an Tür zu Beginn der 1990er Jahre mit der Planung einer Modellwohnanlage für Studierende und Geflüchtete in Augsburg. Diese Idee mündete 1999 in die Übernahme, Sanierung und Erweiterung des Europadorfs in Hochzoll, in dem Familien mit unterschiedlicher Herkunft in 36 Wohnungen leben. Das Europadorf gilt als ökosoziales Vorzeigeprojekt.

Ende 1997 wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission die „Beratungsstelle für die Integration ausländischer Flüchtlinge“ eröffnet. TaT erweiterte das Angebot um die Bereiche „Freiwilligenarbeit“ und „Bildung und Arbeit“. In Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk Augsburg entstand daraus das Augsburger „Beratungs- und Integrationszentrum für Flüchtlinge“.

Als Zentrum für Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund wird es seit 2008 trägerübergreifend geführt.

Tür an Tür – Integrationsprojekte gGmbH

2005 wurde die „Tür an Tür – Itegrationsprojekte gGmbH“ gegründet, die inzwischen zahlreiche Projekte u.a. zur beruflichen Qualifizierung von Geflüchteten und zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse in Deutschland angestoßen hat. Tür an Tür koordiniert u.a. das bayerische IQ Landesnetzwerk MigraNet und das westbayerische Netzwerk zur Arbeitsmarktintegration.

2012 wurde mit Partnern im ehemaligen Straßenbahndepot das „Zentrum für interkulturelle Beratung“, kurz „zib.“, aufgebaut. Dort werden Geflüchtete, Immigranten, Behörden, Unternehmen und Kommunen fachkundig beraten. Sprachkurse und die Begleitung bei Behördengängen oder bei der Wohnungssuche ergänzen das Angebot für Geflüchtete.

Café Tür an Tür

In einer früheren Busgarage auf dem Gelände errichteten Nachbarn, Geflüchtete und Jugendliche gemeinsam das „Café Tür an Tür“. Der offene Treffpunkt ist seit 2015 ein offener Ort vielfältiger sozialer Begegnung für das Viertel und in der Stadt. Es wird überwiegend von Freiwilligen als Begegnungs- und Lernort für Alle betrieben, ohne Konsumzwang und auf Spendenbasis mit mittlerweile 30.000 Gästen pro Jahr. Über 100 Veranstaltungen finden jährlich statt, darunter die Reihe „Asylpolitischer Frühschoppen“ mit aktuellen Themenstellungen zu Migration und Flucht.

Digitale Lösungen

Seit 2016 verfolgt die „Tür an Tür-Digitalfabrik“ das Ziel, die Digitalisierung im Umfeld von Integration, Bildung, bürgerschaftlichem Engagement greifbar zu machen und entwickelt hierzu digitale Lösungen. Dazu zählt die mehrfach ausgezeichnete App „Integreat“, ein lokaler, mehrsprachiger und digitaler Wegweiser für Neuzugewanderte. Sie ist mittlerweile ein Serviceökosystem für zahlreiche Städte und Landkreise. Integreat unterstützt die Integrationsarbeit und wird bereits von mehr als 60 Kommunen eingesetzt, 24 davon in Bayern.

TaT ist auch Herausgeber der Straßenzeitung „Riss – Augsburgs Zeitung für soziale Themen“. Die ehrenamtliche Redaktion besteht u.a. aus Obdachlosen, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Fotografen, Journalisten und Sozialarbeitern. Verdienen sollen allein die Verkäufer, der Erlös wird ausschließlich für die Druckkosten verwendet. Der „Riss“ steht dabei für die gesellschaftliche Kluft zwischen Armen und Reichen, aber auch für den Bruch in der Biografie vieler Obdachloser.

Für seine Arbeit erhielt der hochengagierte Verein zahlreiche Auszeichnungen, z.B. 1999 den „Förderpreis Demokratie leben“ des Deutschen Bundestags, das „Europäische Sprachensiegel 2004“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, 2010 den „Sozialpreis der bayerischen Landesstiftung“ und 2013 den „Hauptpreis des Integrationspreises der Bayerischen Staatsregierung“. 2016 präsentierte das Deutsche Architekturmuseum das „Café Tür an Tür“ im Pavillon der Bundesrepublik Deutschland auf der Architektur-Biennale in Architektur-Biennale.

DK

 

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