Pflege-Symposium der Versicherungskammer Bayern zeigte Lösungsansätze auf
GZ-Gespräch
mit Dr. Harald Benzing (VKB) und Prof. Dr.-Ing. Lothar Koppers (Institut AGIRA)
GZ-Chefredakteurin Anne-Marie von Hassel gemeinsam mit Dr. Harald Benzing (VKB, rechts)
und Prof. Dr.-Ing. Lothar Koppers (Institut AGIRA)
Immer mehr Menschen sind auf Pflegeleistungen angewiesen. Ihre Zahl wird von heute rund 2,3 Millionen bis zum Jahr 2030 auf 3,4 Millionen steigen, bis 2050 sogar auf über 4,5 Millionen Menschen. Diese Entwicklung fordert innovative und zukunftsfähige Lösungen zur Pflegepraxis und vorsorge sowie deren Finanzierung. Die Versicherungskammer Bayern sieht sich hier ür mit ihrer führenden Marktposition bei der Pflegeabsicherung als treibende Kraft und rief deshalb heuer das Pflege-Symposium ins Leben.
Gemeinsam mit namhaften
Referenten aus Wissenschaft
und Wirtschaft wurden unter
anderem die Themen demografischer Wandel sowie zukünftige Herausforderungen für Versicherer und Kommunen eingehend diskutiert. Im Gespräch
mit GZ-Chefredakteurin Anne-
Marie von Hassel zeigten die
Referenten Dr. Harald Benzing,
Mitglied des Vorstands der Versicherungskammer Bayern, sowie Prof. Dr.-Ing. Lothar Koppers, Direktor des Instituts für
angewandte Geoinformatik und
Raumanalysen e.V. (Institut
AGIRA), Lösungsansätze und Handlungsoptionen auf.
Symptome in
den Infrastrukturen
Bevölkerungszahl, Altersstruktur, Migration, Familienbild oder
Geschlechtersymmetrie sind nach
Darstellung von Prof. Koppers nur
wenige Stichworte, die beschreiben, mit welchen demografischen
Veränderungen die zukünftige Gesellschaft zu rechnen hat. Diese
Entwicklungen verursachten diverse Symptome in den kommunalen Infrastrukturen, so auch in
der Pflege.
Wie die AGIRA-Studie „Zukunftsfähige Gesundheitsinfrastrukturen für Bayern“ nachweist, sind Auswirkungen bei
weitem nicht auf die häufig etwas belächelten demografischen „Verlierer“ im Freistaat
beschränkt. Auch in Regionen
mit erheblichen Wanderungsgewinnen sind bereits heute Folgen erkennbar. Der Hauptgrund
liegt in der Verschiebung der
Altersstruktur.
Bevölkerungsverluste
In allen Untersuchungsgebieten (Amberg, Amberg-Sulzbach, Ebersberg, Stadt und
Landkreis Hof, Kempten, Main-
Spessart, Nürnberger Land,
Oberallgäu, Regen) sind in den
Altersgruppen der 65-Jährigen
und Älteren bis 2030 Anstiege
zu verzeichnen. Zudem nimmt
einzig im Landkreis Ebersberg
die Gesamtbevölkerung zu. Im
Landkreis Oberallgäu und der
kreisfreien Stadt Kempten bleiben die Einwohnerzahlen konstant. In allen anderen Untersuchungsregionen müssen starke
bis sehr starke Bevölkerungsverluste verkraftet werden.
Aufgrund der zukünftigen Altersstruktur werden die Bedarfe
an hausärztlichen Leistungen bis
2030 in den Untersuchungsregionen steigen. Einzig im Landkreis
und der Stadt Hof bleiben die
Zahlen stabil, während sich für
die Landkreise Ebersberg und
Oberallgäu erhebliche Veränderungen ergeben.
Pflegekräfte sind rar
Die demografische Entwicklung in Bayern hat auch Auswirkungen auf die Zahl verfügbarer Mitarbeiter im Pflegesektor. Gerade im Münchner Umland seien Pflegekräfte rar, berichtete Koppers. Es existiere
ein hoher Personaldruck, die
Entwicklung sei insgesamt dramatisch. „Unweigerlich wird dies
zu Versorgungslücken führen“,
prognostizierte der Institutsleiter.
Spätestens beim Thema Pflege wird klar, dass der demografische Wandel für Betroffene
und deren Angehörige eine erhebliche finanzielle Belastung
bedeuten kann, erläuterte Dr.
Harald Benzing, Mitglied des
Vorstands der Versicherungskammer Bayern.Betrachte man
sich die Pflegekosten im Alter,
so müssten für Männer etwa
42.000 Euro über die gesamte
Pflegedauer aufgewendet werden, für Frauen dagegen 84.000
Euro.
Faustregel
Diese weitaus höheren Kosten
hingen damit zusammen, dass
Frauen in aller Regel älter würden, entsprechend länger pflegebedürftig seien und häufig stationär behandelt würden. Bei
Männern liege die Pflegewahrscheinlichkeit bei 50 %, bei
Frauen betrage sie 75 %. Mit zunehmendem Alter nehme sie rapide zu. „Als grobe Faustregel
gilt: Die Pflegewahrscheinlichkeit verdoppelt sich ab einem Alter von 75 Jahren circa alle fünf
Jahre“, so Benzing.
Da die gesetzliche Pflegeversicherung nur etwa 50 % der anfallenden Kosten abdeckt, wird seit
2013 die private Pflegevorsorge
staatlich gefördert. Mit dem sogenannten Pflege-Bahr hat der Staat
Benzing zufolge einen günstigen
Einstieg in die private Pflegezusatzversicherung ermöglicht. Damit sei zudem ein Bewusstsein
für die Dringlichkeit privater Vorsorge geschaffen worden. Negativ zu bewerten sei, dass im Normalfall Förderung und Beiträge
nicht ausreichen, um Versorgungslücken vollständig zu
schließen.
Pflegezusatzversicherung
Hier nun knüpft die Versicherungskammer Bayern mit ihrem
Angebot einer Pflegezusatzversicherung an, die einen zusätzlichen monatlichen Rentenbetrag
bzw. ein Tagegeld absichert. Diese Risikoversicherung mit vergleichsweise günstigen Beiträgen
stellt laut Benzing „eine vernünftige, kalkulierbare Möglichkeit
dar, den eigenen Anteil in der sozialen Pflegeversicherung zu finanzieren“. Je früher damit begonnen werde, umso günstiger
sei die Pflegeabsicherung. „Am
Ende ist dies eben auch ein Teil
Vermögensschutz“, konstatierte
der VKB-Vorstand und ergänzte:
"Wir bieten eine gute Pflegeberatung an und entlasten die oftmals
völlig überforderten Angehörigen
bei der Antragstellung. Auch geben wir unter anderem Empfehlungen zu pflegenahen Einrichtungen.“
Apropos Infrastruktur: Nach
Prof. Koppers' Ansicht sollte
beim Thema Immobiliennach-
folge das Modell des Austragshauses in eine neue Form gegossen werden. Hintergrund sei,
dass Familien zunehmend voneinander entfernt leben und ältere Leute zum Teil große Häuser
in monostrukturellen Siedlungen allein bewohnen und auch
zu bewirtschaften haben.
Dem Austragshaus-Thema
kommt laut Koppers der Umstand zugute, dass Ortskerne
mit älterer Bausubstanz zunehmend veröden. Stellten die
Ortszentren früher die Versorgungsschwerpunkte dar, verlagerten sich diese immer stärker
an die Ortsränder. „Hier könnten ersatzweise entsprechende
Wohnungsmöglichkeiten für
Ältere mit variabel angeschlossenen Unterstützungsmöglichkeiten, sprich der langsam zuschaltbaren Pflege, Eingang finden“, machte Koppers deutlich.
„Und wenn wir dann noch entsprechende wirtschaftliche Möglichkeiten schaffen, dass sich
die Menschen mit Waren des
täglichen Bedarfs selbst versorgen können, kann das dazu
führen, dass solche Orte eine
gewisse Wiederbelebung erfahren“, betonte der Direktor.
Bei derartigen Modellen verhielten sich die meisten Kommunen freilich noch sehr zögerlich, räumte Koppers ein. Immerhin sei man in Wunsiedel
gerade dabei, „den Stadtkern
neuer zu denken“. Man sei dort
durchaus daran interessiert,
auch Finanzkräfte von außen
für entsprechende Projekte zu
gewinnen. „Das Konzept muss
stimmen und entsprechend
nachgewiesen werden. Tragfähigkeit ist für die Investoren
enorm wichtig. Interkommunales Denken heißt das Zauberwort“, stellte Koppers fest.
Qualität und Erreichbarkeit
Insgesamt sind in der Ärzte-
und Pflegeversorgung in den
nächsten Jahren Veränderungen
in Organisation, Struktur und
Denkhaltungen nötig. Im Vorder-
grund steht die Aufrechterhaltung
der Qualität und Erreichbarkeit
der medizinischen Versorgung im
ländlichen Raum. „Wir als private Krankenversicherung sorgen
dafür, dass sich Landpraxen noch
vernünftig finanzieren können.
Ohne private Krankenversicherung hätten wir eine deutlich stärkere Landflucht der Ärzte", hob
Harald Benzing hervor und verdeutlichte: „Wir sichern somit vor
Ort eine gute Versorgung. Durch
die Zusammenarbeit mit kommunalen und privaten Krankenhäusern gewährleisten wir zudem eine gute stationäre Versorgung in
der Fläche.“
Konzepte testen
„Die Entwicklungen neuer
Versorgungsmodelle innerhalb
des Gesundheitssystems sind
unumgänglich, um die medizinische und pflegerische Versorgung sicherzustellen. Diese
Konzepte müssen allerdings zuerst in Modellprojekten getestet
und auf die jeweilige Region
spezifisch ausgerichtet werden", bilanzierte Koppers. Seiner Auffassung nach könnte ein
Pflege-Monitoring als Teil eines
seniorenpolitischen Gesamtkonzepts zuverlässige kleinräumige
Daten zum Pflegearbeitsmarkt,
zum Beschäftigungsstand und zu
künftigen Entwicklungen gene-
rieren. „Pflege als Chance für
Ortschaften": Auch dieser Aspekt
sollte nicht außer Acht gelassen
werden.
DK
(GZ-20-2013)
www.institut-agira.de
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