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(GZ-13-2016)
Neues von Sabrina
 
Dem Volk nicht nach dem Munde reden

Gestern hat mein Chef gesagt...

„Brexit, Nexit, Frexit, Öxit – nie waren die professionellen Schwarzseher so kreativ wortschöpfend tätig wie heute.“ Mein Chef, der Bürgermeister, hat in den letzten Tagen sehr sorgfältig die Analysen und Ausblicke studiert, die im Zusammenhang mit der Entscheidung des britischen Referendums zum Ausscheiden aus der EU geschrieben und gesendet wurden.

Jede Art von Populisten mahnt jetzt an, auch in ihrem Land müsse es entsprechende Volksabstimmungen geben. In den Niederlanden ebenso wie in Frankreich, wo der Front National auch aus dem Euro raus will und wohl von der Wiedererlangung der Kolonien träumt. In Österreich muss die Präsidentenwahl wiederholt werden, weil dort die Stimmen in so kakanischer Wurstigkeit ausgezählt wurden, dass es dem Verfassungsgericht zu viel wurde. Welche gute Gelegenheit für die Rechtspopulisten, dort die EU-Frage massiv zu spielen.

All das haben uns englische Reclam-Politiker eingebrockt. Der eine war zu schwach, seine eigene Partei in der Europa-Frage hinter sich zu bringen und hat deshalb die Verantwortung auf das Volk abgeschoben. Die anderen haben eitel und selbstgefällig eben diesem Volk suggeriert, dass es unter Königin Elisabeth II wieder so werden kann wie unter Elisabeth I und ein moderner Wiedergänger von Sir Francis Drake die Vorherrschaft Britanniens schon sichern wird.

Alle miteinander haben sich in die Büsche gehauen und die Bürger mit einer hoch komplexen außen-, wirtschafts- und sicherheitspolitischen Frage allein gelassen. Wie üblich wurde simplifiziert und gelogen. Britannien hat zu viele Einwanderer – raus aus der EU, auch wenn die meisten Einwanderer aus ehemaligen Kolonien stammen und den europäischen Bürgern auch dann Freizügigkeit zu gewähren ist, wenn man von außen am EU-Binnenmarkt teilnehmen will. Ein Blick nach Norwegen oder etwas Zeitungslektüre im Zusammenhang mit dem Schweizer Volksbegehren zur Zuwanderungsbegrenzung (das auch nicht funktionieren wird) hätten genügt. Britannien zahlt Beiträge zur EU – lasst sie uns ins Gesundheitssystem stecken. Was, der größte Teil fließt für Landwirtschaft, Fischerei und Strukturmaßnahmen auf die Insel zurück? Upps, eine kleine Wahlkampflüge, wie am Tag nach dem Referendum auch gleich zugegeben wurde.

Wie sich die Bilder doch gleichen. Bei uns sind es bei Bürgerbegehren oder Volksentscheiden immer Kindergärten. So und soviel Kindergärten können gebaut werden, wenn die Umgehungsstraße, der Bahnhof oder der Transrapid nicht gebaut wird, Olympia oder die dritte Startbahn nicht kommt. Am Ende wird das Projekt nicht realisiert und keine Kindergärten gebaut, weil politische Entscheidungen halt nicht nach dem Muster von 1+1=2 funktionieren. Da wäre doch jeder Bürgermeister, jeder Landrat, jedes Mitglied eines Stadt-, Kreis- oder Gemeinderats bescheuert, sich durch hunderte von Seiten Verwaltungsvorlagen zu quälen, Gutachten einzuholen, Anhörungen zu veranstalten, sich mit der Rechtsaufsicht kurzzuschließen oder Planunterlagen zu studieren, wenn die Quintessenz einer Entscheidung schlicht lautete: Die da oben verprassen unser Geld und machen was sie wollen – also Nein, abgelehnt, Austritt.

Wir in Deutschland tun gut daran, von den Briten zu lernen: Keine Volksabstimmungen über wichtige Fragen. Wir wählen Abgeordnete, die sich in Ausschüssen, Enqueten und vielen Diskussionen ein Bild machen und zu deren Job es gehört, auch mal Unpopuläres zu entscheiden, wenn es vernünftig ist. Wir haben da in 67 Jahren beste Erfahrungen gemacht – Westbindung, Wiederbewaffnung, Wiedervereinigung wären allesamt bei Volksabstimmungen durchgefallen. Aber Volksabstimmungen dienen doch zur Befriedung? Das merkt man auf der Insel: Massenproteste, Abspaltungsdiskussionen in Nordirland und Schottland, millionenfach Petitionen, bittere gegenseitige Vorwürfe zwischen den Generationen. Friede?

Mein Chef, der Bürgermeister, kann angesichts der Lage nur Franz Josef Strauß zitieren: „Dem Volk aufs Maul schauen, aber nicht nach dem Munde reden.“

Ihre Sabrina

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