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(GZ-18-2019)
Neues von Sabrina
 

Schicksalsjahr 1989

Gestern hat mein Chef gesagt...

Lernen wir dreißig Jahre nach der friedlichen Revolution aus der Geschichte und reflektieren die Erkenntnisse auf das Verständnis unserer ostmitteleuropäischen Nachbarn. Dann verstehen wir besser, hofft der Rathauschef.

„Mein Gott, ist das alles tatsächlich schon 30 Jahre her? Die Rebellion, der Aufbruch, der Mut und die Entschlossenheit, keine Angst mehr haben zu wollen vor den kommunistischen Machthabern, die ihre Vorstellung von Sozialismus mit Panzern, Gulag und Bespitzelung durchsetzen wollten.“ Mein Chef, der Bürgermeister, hat sich anlässlich des bevorstehenden Tages der Deutschen Einheit wieder einmal mit dem Schicksalsjahr 1989 befasst, dass unser Land und unseren Kontinent so nachhaltig verändert hat.

Hand aufs Herz, wer ahnte am 23. August 1989, als die Tagesschau und heute (damals tatsächlich die wichtigsten Medien für tagesaktuelle Nachrichtenbilder!) ihre Berichte über den Baltischen Weg, diese gigantische Menschenkette von Vilnius über Riga nach Tallin, gesendet haben, dass damit die Sowjetunion, dieser stolze Machtkoloss von der Ostsee und dem Schwarzen Meer bis zum Pazifischen Ozean, langsam von innen heraus zerfallen wird. Die Erinnerung, dass Estland, Lettland und Litauen einst unabhängige Staaten gewesen sind, war durch die Kraft des Verdrängens und der Konzentration auf die Konfrontation der Blöcke, fast völlig verloren gegangen.

Überhaupt waren wir (West)Deutschen, sofern wir nicht ohnehin in Urlaub und damit bis auf zwei Tage alte Bildzeitungen von den Tagesaktualitäten abgeschnitten, mit ganz anderen Bildern beschäftigt. Mit dem symbolischen Abbau der Grenzanlagen zwischen Ungarn und Österreich etwa oder mit dem Paneuropäischen Picknick am 19. August 1989, der größten Fluchtbewegung von Deutschen von Ost nach West seit dem Mauerbau. Heute können wir Vorgänge und Ereignisse hinter dem Eisernen Vorhang miteinander verknüpfen, sehen wir Entwicklungslinien, wie sie nur in der historischen Rückschau erkennbar sind.

Veränderungen wie die Streikbewegung oder die Verhängung des Kriegsrechts in Polen, der wachsende Einfluss der Kirchen in den offiziell atheistischen Ländern des wissenschaftlichen und entwickelten Sozialismus, all das hatte einen größeren und nachhaltigeren Einfluss auf die Veränderungen in Europa, als wir das in dem Moment, als wir sie im Fernsehen sahen und in den Zeitungen die Analysen lesen konnten, erahnt haben mögen.

Nach dem Sturz der kommunistischen Regime, nach dem Untergang der Sowjetunion waren viele der Überzeugung, nun wäre die Geschichte an ihr Ende gelangt, der Westen und sein „way of life“ haben gesiegt und für Russen wie Osteuropäer wäre es jetzt nur eine Frage der Zeit, bis sie sich in 1:1-Abbilder der USA, Frankreichs oder der Bundesrepublik verwandeln würden.

Heute erkennen wir, dass Russland sich wieder auf dem Weg hin zu autoritären politischen Strukturen befindet und sich im Zweifel eher an das totalitäre China als an das freiheitliche und liberale Europa anlehnt. Wir blicken unduldsam und streng auf Länder wie Polen, Ungarn oder Tschechien, die nach dem Rückgewinn der Nation und der nationalen Selbstbestimmung auf ihrer Souveränität und auf dem beharren, was wir Sonderwege nennen. So sind wir sehr schnell bei der Hand, diese Staaten mangelnder Solidarität in der Flüchtlingsfrage vorzuwerfen, ohne zu hinterfragen, ob es in deren Augen nicht ebenso übergriffig ist, wenn ein europäischer Rat ihnen mit Mehrheit ein Handeln aufzwingen will, wie wenn es früher der Große Bruder in Moskau getan hat.

Mein Chef, der Bürgermeister, weiß, dass alle Vergleiche hinken, insbesondere, wenn man bedenkt, dass die ostmitteleuropäischen Länder freiwillig in die EU eingetreten sind, was man vom Ostblock nicht behaupten konnte. Aber wir reden über Psychologie, da geht es mitunter nicht streng rational zu. Deshalb wäre es so wichtig, dass wir uns, auch wenn 30 Jahre seit der friedlichen Revolution vergangen sind, stärker mit unseren östlichen Nachbarländern beschäftigten und versuchen würden, sie besser zu verstehen. Denn eines wusste schon der französische Künstler Jean-Louis Barrault: „Idealisten werden manchmal sehr böse, wenn die Wirklichkeit sie widerlegt.“

Ihre Sabrina

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