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(GZ-10-2015)
Neues von Sabrina
 
Grenze der Sprache, Grenze des Denkens

Gestern hat mein Chef gesagt...

„Na, wie sind so die Anmeldezahlen für die neuen Fremdsprachenangebote der Volkshochschule? Sind unsere Leute bereit, den Horizont zu weiten? Ich hoffe das doch sehr.“ Mein Chef, der Bürgermeister, hatte den neuen Leiter unserer VHS verpflichtet, zu jedem neuen Semester wenigstens ein neues Sprachenangebot einzuplanen. Er ist der Meinung, dass die Kenntnis von Sprachen den Schlüssel zu Welt bedeutet.

Das Ergebnis der Statistik war nicht weiter überraschend. Nummer eins in jeder Form ist das Deutsche, da sich nicht nur bei der wachsenden Zahl der Flüchtlinge im Städtchen, sondern auch bei den schon länger hier lebenden Ausländern die Erkenntnis immer mehr durchsetzt, dass ohne ausreichende Deutschkenntnisse ein Leben hier einfach nicht erstrebenswert ist. Dazu kommen noch die Kurse für deutschsprachige Analphabeten, von denen wir auch bei uns noch viel zu viele haben und die immer mehr die Scheu verlieren, sich helfen zu lassen. Bei den Fremdsprachen ist Englisch in jeder Beziehung weit vor allen anderen, sowohl als Vorbereitung zur Nachholung eines Schulabschlusses als auch in Konversation oder Business-English, das geradezu explodiert. Danach kommt Spanisch, das nach wie vor einfach schick und angesagt ist, gefolgt von den Sprachen der Urlaubsländer wie Italienisch, Griechisch und Kroatisch. Einen festen, wenn auch sehr kleinen Stamm an Interessenten haben Exoten wie Finnisch, Hebräisch oder Isländisch.

Eines Pfingstwunders würde es allerdings bedürfen, dass Französisch wieder auf die Beine kommt und Polnisch sich mal etabliert. Französisch lebt vorwiegend von den Konversations- und Auffrischungskursen für die, die es mal in der Schule gelernt haben oder die Infusionskurse für Schüler, die Grammatik und Wortschatz vor Abschlussprüfungen noch mal kompakt wiederholen wollen. Aber für Polnisch kommt allenfalls ein Kurs und der nicht jedes Semester zusammen.

Seltsam, dass die Sprachen unserer zwei größten und engsten Nachbarländer nicht mehr nachgefragt werden. Da brauchen wir uns gar nicht erst mit dem erhobenen Zeigefinger an den Rhein zu stellen und Frankreich zu rügen, dass es den Deutschunterricht an den Schulen ausdünnen will, wenn wir uns selbst keinen Deut aus Französisch machen.

Gut, die Begründung der französischen Regierung, wonach Fremdsprachenlernen elitär sei und die soziale Kluft zwischen den Schülern verstärke, ist Blödsinn. Fremdsprachenkenntnisse bringen uns die Nachbarn näher und bieten uns Einblick in das Denken anderer Völker, unabhängig von Herkunft und sozialer Schichtung. Von wegen elitär! Wohin soll es führen, wenn die Leute nicht mehr die Sprache der Nachbarländer lernen? Gut, viele sagen, man könne sich ja prima mit jedem Menschen auf Englisch unterhalten. Schlecht gesprochenes, lücken- und fehlerhaftes Englisch ist weltweit die populärste und am weitesten verbreitetste Sprache. Da können sich doch auch Deutsche, Franzosen und Polen damit verständigen!

Wirklich? Werden wir jemals einen Franzosen verstehen, wenn wir nicht wenigstens im Ansatz das reiche literarische Erbe erfassen können, das heute noch zentral das Denken jenseits des Rheins bestimmt. Oder werden wir die Polen verstehen, wenn wir die Brüche in deren Geschichte nicht auch in deren Sprache lesen und begreifen können? Werden wir uns in Europa gegenseitig verstehen, wenn wir nur in einer Sprache reden, die keinem von uns Heimat und Gefühl vermittelt?

Mein Chef, der Bürgermeister, ist nicht so naiv zu glauben, dass jeder bei uns Französisch oder Polnisch lernen sollte. Letzteres kann er als typisches Cold-War-Kid leider auch nicht. Aber er ist überzeugt davon, dass je mehr Leute sich mit anderen Sprachen und Kulturen auseinandersetzen, je mehr als Multiplikatoren oder „Kulturdolmetscher“ fugieren können, desto besser wird die Nachbarschaft in Europa. Deshalb wird er versuchen, speziell junge Leute für das Sprachenlernen an der VHS zu begeistern. Da kann ich ihm nur von Herzen besten Erfolg wünschen und setze ein Zitat des Philosophen Ludwig Wittgenstein in seinen Whatsapp-Status: „Die Grenze meiner Sprache ist die Grenze meines Denkens.“

Ihre Sabrina

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