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(GZ-13-2015)
Neues von Sabrina
 
Demokratie meets Marketing

Gestern hat mein Chef gesagt...

„Ich habe es getan! Und ich bin stolz auf mich! Ich habe die erste Online-Petition meines Lebens unterschrieben. Schließlich bin ich nicht nur Bürgermeister, sondern auch Bürger und kann wie jeder andere auch meine Meinung kundtun.“ Mein Chef, der Bürgermeister, war ziemlich aufgekratzt an diesem Vormittag.

Eigentlich bin ich schuld, denn ich habe ihm den Link zur Online-Petition „Abschaffung der Bundesjugendspiele“ weitergeleitet, nachdem ich mich selber durch meine Unterschrift darunter mit Wonne für all die faden heißen Vormittage gerächt habe, die mir dieses anachronistische Spektakel als Schülerin beschert hat. Nun wusste ich ja, dass auch der Chef Zwangswettkämpfe für so überflüssig wie Fußpilz hält. Aber die Tatsache, dass er spornstreichs unterzeichnet, hat mich dennoch etwas überrascht.

Denn natürlich ist es richtig, dass ein Kommunalpolitiker durch seinen Amtseid nicht auch seine Rechte als Bürger ablegt – und das Petitionsrecht ist nun einmal ein wertvolles Bürgerrecht, das wir in unserer Demokratie haben. Allerdings sollte ein Politiker, gleich auf welcher staatlichen Ebene er sein Amt ausübt, eingedenk des Verfassungsauftrags an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, eigentlich über andere Instrumente verfügen, um seinen Überzeugungen Gehör zu verschaffen. Stellen wir dies aber mal hintan und machen uns auch nicht viele Gedanken darüber, dass sich die Bundesjugendspielpetition an den Bund richtet, obwohl die Spiele von den der Landeskompetenz unterliegenden Schulen abgehalten werden – die Unterschrift befreit und gibt einem das gute Gefühl, mal seine Meinung gesagt zu haben.

Eine Meinung, die überraschenderweise von einer ganzen Reihe Menschen geteilt wird. Wer wagt es sonst schon, seine Stimme gegen die heilige Kuh Schulsport zu erheben? Auf jeder Party erntet man verständnisvolle, mitfühlende oder komplizenhafte Blicke, wenn man sich als Matheversagerin outet, bekundet, in Physik oder Chemie nur Bahnhof verstanden zu haben, oder die armen Kinder bedauert, die heutzutage verpflichtend Mathe im Gymnasial-Abitur schreiben müssen.

Lässt man aber fallen, nie ein guter Sportler gewesen zu sein, ist der kultivierte Shitstorm schon vorprogrammiert, gilt man doch als Weichei, untüchtig und asozial, weil man vielleicht den Mitschülern auf diese Weise so manches spannende Match verdorben hat, wenn man als Restposten in die Mannschaft zugewählt werden musste. Und jetzt erfährt man, dass nahezu 25.000 Leute ebenso denken, wie man selbst. Wow.

Nun ja, man bereut die Unterschrift natürlich auch bald, denn kaum hat man erfolgreich seine Zeichnung abgeschickt, wird man dezent darauf hingewiesen, dass man den Erfolg dieses wichtigen Anliegens mit einer Spende in abgestufter Höhe zu befördern nun quasi moralisch aufgerufen sei. Man solle sein Votum gefälligst twittern oder auf Facebook teilen, damit es möglichst weit rumgehe in der Innung. Danach erhält man Wasserstandsmeldungen über die Verbreitung der Petition, bei denen nie der Hinweis fehlt, dass es ja noch eine ganze Reihe anderer schöner Petitionen gäbe, die ebenfalls unterstützenswert seien. Schließlich habe man sich zur Community der aktiven Bürger gesellt, da könne man doch jetzt nicht schlapp machen und solle sich für dies und jenes auch ins Zeug legen.

Mein Chef, der Bürgermeister, wartet jetzt erst mal gespannt ab, was aus der Petition wird und hat bis auf weiteres eine Regel am Computer eingestellt, die Mails der Petitionsplattform als Spam zu behandeln. Eines ist schon geschafft: Deutschland diskutiert das Thema. Längst gibt es eine – was sonst – Onlinepetition für die Bundesjugendspiele, obwohl das natürlich völlig sinnlos ist, denn es gibt sie ja. Aber auch damit brachte jemand seinen Namen in die Zeitung. Demokratie meets Marketing sozusagen. Was die Meinung vom Bürgermeister und mir angeht, twittere ich mal einen Satz von Bertold Brecht: „Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein.“

Ihre Sabrina

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