Interviews & Gesprächezurück

(GZ-20-2017)
Interview mit GVB-Vorstand Dr. Jürgen Gros
 
► Dr. Jürgen Gros, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB):
 
„Der Abbau bürokratischer Hürden hilft”
 

Der GVB-Präsident über Erwartungen und Forderungen der bayerischen Genossenschaften an die künftige Bundesregierung.

Deutschland hat gewählt. Jetzt müssen die im künftigen Bundestag vertretenen Parteien eine regierungsfähige Koalition auf die Beine stellen und ihre Ziele in einem Koalitionsvertrag festschreiben. Worauf es den Genossenschaften im Freistaat dabei ankommt, macht der Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB), Dr. Jürgen Gros, im Interview deutlich.

GZ: Herr Dr. Gros, auf die neue Bundesregierung warten viele Herausforderungen. Eine wird die von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angefeuerte Debatte über die Weiterentwicklung der Europäischen Union sein. Wie stehen die bayerischen Genossenschaften dazu?

Jürgen Gros: Die bayerischen Genossenschaften stehen zur europäischen Idee. Sie bietet politische Stabilität und hat für die Wirtschaft förderliche Rahmenbedingungen wie den gemeinsamen Binnenmarkt hervorgebracht. Klar ist aber auch, dass Europa noch immer stark von Überregulierung, Bürokratie, zu wenig Transparenz und mangelndem Pragmatismus gekennzeichnet ist. Das müssen die bayerischen Genossenschaften in der Praxis immer wieder feststellen. Ob noch mehr Europa dagegen hilft und zur Festigung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion beiträgt, bezweifle ich.
Was hilft dann?

Jürgen Gros: Der Abbau bürokratischer Hürden hilft. Statt Überregulierung und Kontrollwahn brauchen wir europäische Vorgaben, die sich auf das Wesentliche konzentrieren, die einfach und verständlich sind und vom deutschen Gesetzgeber nicht noch verschärft werden. Darüber hinaus sollte die neue Bundesregierung konsequent auf das Subsidiaritätsprinzip setzen. Das heißt, sie sollte penibel darauf achten, dass die EU-Mitgliedstaaten das regeln dürfen und müssen, was sie regeln können. Wir brauchen eine klare Abgrenzung zwischen Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten und Zuständigkeiten der EU.

GZ: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Jürgen Gros: Das beste Beispiel dafür sind die Pläne für ein europäisches Einlagensicherungssystem. Die EU-Kommission will den in Deutschland seit 80 Jahren bewährten genossenschaftlichen Einlagenschutz faktisch durch ein gemeinschaftliches europäisches Sicherungssystem ablösen. Die bisherige Bundesregierung hat in der Vergangenheit klar geäußert, dass sie von dieser Idee nichts hält. Die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken verlassen sich darauf, dass sich auch die neue Bundesregierung dafür einsetzen wird, das hohe Schutzniveau für die Sparer in Deutschland zu bewahren.

GZ: Warum ist Ihnen der Erhalt der deutschen Einlagensicherung so wichtig?

Jürgen Gros: Das deutsche Einlagensicherungssystem schafft Vertrauen bei den Sparern und Unternehmen. Eine europäische Einlagensicherung hingegen erzeugt Fehlanreize im Bankensystem und legt den Grundstein für eine europäische Transferunion. Was spricht dagegen, dass die EU-Mitgliedsstaaten auch weiterhin eigenverantwortlich für die Risiken in ihren nationalen Bankensystemen einstehen? Zumal die ungleich verteilten Bestände an faulen Krediten, die insbesondere die Länder Südeuropas belasten, immer noch nicht reduziert sind. Die jüngsten Rettungsaktionen von Banken in Spanien und Italien haben gezeigt, dass noch erheblicher Handlungsbedarf besteht.

GZ: Der GVB tritt für eine verhältnismäßige Regulierung kleiner Banken ein. Welche Unterstützung erwarten Sie von der zukünftigen Bundesregierung?

Jürgen Gros: Es ist gut, dass die europäische Finanzmarktregulierung mittlerweile auf dem Prüfstand steht. Viele Regeln sind infolge der Finanzkrise vor zehn Jahren entstanden und auf international tätige Großbanken zugeschnitten. Die Regelwerke müssen aber auch die kleineren Institute wie die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken erfüllen. Das belastet sie sowie ihre Kunden erheblich und zeigt, dass Europa mehr Verhältnismäßigkeit in der Bankenregulierung braucht. Die neue Bundesregierung ist gefordert, sich weiter dafür einzusetzen und den eingeleiteten Überprüfungsprozess voranzutreiben.

GZ: Wie lässt sich mehr Verhältnismäßigkeit in der Regulierung herstellen?

Jürgen Gros: Die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken fordern eine zielgenaue und differenzierte Bankenregulierung. Das heißt, regionale Institute mit überschaubaren und risikoarmen Geschäftsmodellen müssen anderen Anforderungen unterliegen als international tätige Investmentbanken. Die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken unterstützen die Einführung eines solchen, auf Regionalbanken angepassten Regulierungsrahmens, den übrigens auch Bundesbank und BaFin fordern. Es ist mittlerweile Konsens, dass kleine und mittlere Banken unter anderem von Melde- und Offenlegungspflichten befreit werden sollten, die zu hohem Aufwand führen, aber nicht zu mehr Finanzstabilität beitragen.

GZ: Der GVB warnt immer wieder davor, dass eine undifferenzierte „One-size-fits-all“-Regulierung in Deutschland zu Strukturveränderungen führt, weil sie kleinere Banken überlastet. Dadurch wächst der Druck zur Größe. Warum sollte sich die Bundesregierung für den Erhalt der Bankenlandschaft in Deutschland einsetzen?

Jürgen Gros: Die vielfältige Bankenstruktur in Deutschland ist ein enormer Standortvorteil, den wir erhalten sollten. Das hat der Bundesfinanzminister zuletzt selbst hervorgehoben. Das Nebeneinander der unterschiedlichen Geschäftsmodelle von Geschäftsbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken macht unser stabiles Finanzsystem leistungsfähig und dient der mittelständisch geprägten Wirtschaft. Das hat sich insbesondere in der Finanzkrise gezeigt, in der es in Deutschland – anders als in vielen anderen europäischen Staaten ohne eine vergleichbare Struktur – zu keiner Kreditklemme gekommen ist.

GZ: Die 1.278 bayerischen Genossenschaften mit ihren rund 51.000 Beschäftigten bilden gemeinsam eine der großen mittelständischen Wirtschaftsorganisationen im Freistaat. Was muss die Bundesregierung tun, um den Mittelstand zu fördern?

Jürgen Gros: Eines ist mir besonders wichtig: Der Mittelstand muss spürbar von Bürokratie befreit werden. Das gilt nicht nur für Regionalbanken, sondern für alle kleinen und mittleren Betriebe, zu denen auch viele Genossenschaften im Freistaat zählen. Sie sind Rückgrat und Motor unserer Wirtschaft, schaffen Wachstum und Beschäftigung. Dafür brauchen sie Rahmenbedingungen, die Eigenverantwortung fördern und Raum für Neues lassen. Die Bundesregierung muss deshalb den schleppenden Bürokratieabbau forcieren. Dazu gehört es auch, kritisch zu prüfen, welche Berichts- oder Dokumentationspflichten wirklich einen gesellschaftlichen Nutzen bringen, und welche allein das unternehmerische Handeln erschweren.

GZ: In den vergangenen Monaten sind immer wieder Forderungen laut geworden, den Einsatz von Bargeld einzuschränken. Was halten Sie davon?

Jürgen Gros: Bargeld ist in Scheinen und Münzen materialisierte individuelle Freiheit. Die Bürgerinnen und Bürger sollten weiterhin selbst entscheiden dürfen, ob sie bar bezahlen oder nicht. Die künftige Bundesregierung ist aufgerufen, dieses Selbstbestimmungsrecht zu verteidigen.

GZ: Die rund 260 bayerischen Energiegenossenschaften haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Photovoltaik- oder Biogasanlagen in Betrieb genommen, die durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert werden. Wie wichtig ist der Bestandsschutz für diese Anlagen?

Jürgen Gros: Verlässliche Rahmenbedingungen sind unerlässlich. Am Bestandsschutz für die Altanlagen darf nicht gerüttelt werden. Das heißt, einmal erteilte Zusagen, auf deren Basis Investitionsentscheidungen getroffen wurden, müssen weiterhin gelten. Andernfalls wird das Vertrauen der Bürger, Unternehmen und Investoren in politische Zusagen und Gesetze beschädigt. Die künftige Bundesregierung sollte zwingend die gesetzlich festgeschriebenen Vergütungszusagen bis zu ihrem Auslaufen garantieren.

GZ: Die genossenschaftliche Milchwirtschaft spielt in Bayern eine Schlüsselrolle. Rund fünf Millionen Tonnen Milch gehen pro Jahr durch genossenschaftliche Hände. Dennoch ist in den vergangenen Monaten immer wieder Kritik an den Lieferbeziehungen laut geworden. Was sagen Sie dazu?

Jürgen Gros: Mich wundert das. Die Lieferbeziehungen bei den genossenschaftlichen Molkereien sind allein die Angelegenheit der Genossenschaftsmitglieder. Sie bestimmen demokratisch darüber, wie mit Liefermengen oder Kündigungsfristen umgegangen wird. Auf diese Weise sind in den vergangenen 160 Jahren Strukturen gewachsen, die es sich zu erhalten lohnt. Denn sie bieten den Milchbauern viel Planungssicherheit und gewährleisten eine verlässliche Versorgung mit Milchprodukten. Dabei sollte es bleiben. Jeder Eingriff von außen verbietet sich deshalb. Das sollten auch die politischen Entscheidungsträger respektieren.

GZ: Vielen Dank für das Gespräch.

RED

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