Interviews & Gesprächezurück

(GZ-17-2017)
gz gespraech mit wolfgang reif
 
GZ-Gespräch mit Vorstandsvorsitzenden der Versicherungskammer Stiftung Wolfgang Reif:
 
Versicherungskammer Stiftung: Das Ehrenamt neu begreifen
 

Immer wieder sind es freiwillige Helfer, die einen wichtigen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft leisten. Sechs Millionen Bürger sind allein in Bayern ehrenamtlich tätig. Um die Sicherheit zu erhöhen und das Zusammenleben der Bürger zu stärken, wurde zum 200-jährigen Bestehen der Versicherungskammer Bayern im Jahr 2011 die Versicherungskammer Stiftung ins Leben gerufen.

Über deren Ausrichtung und zentrale Arbeitsfelder sprach GZ-Chefredakteurin Anne-Marie von Hassel mit Wolfgang Reif, der seit 1. Januar 2016 als Nachfolger von Walter Lechner Vorstandsvorsitzender ist.

Tatsache ist: Das Verständnis von Ehrenamt ändert sich. Rettungsorganisationen oder Feuerwehren, eigentlich regional stark in den Kommunen verankert, haben Reif zufolge Probleme, Nachwuchs zu generieren. Dies liegt nach seiner Einschätzung nicht daran, dass sich junge Menschen nicht mehr für das Ehrenamt engagieren wollen. Allerdings ändern sich die Strukturen. Die jüngere Generation möchte sich nicht mehr so sehr auf Dauer in einem Verein engagieren, sondern eher projektbezogen arbeiten. „Dieser Entwicklung müssen wir uns stellen“, so Reif. „Wenn die traditionellen Strukturen nicht mehr funktionieren, ist es unsere Aufgabe, neue zu schaffen. Bei der Versicherungskammer Stiftung sehen wir es mit als unsere Aufgabe an, mitzuhelfen, dass für ehrenamtliches Engagement neue Wege aufgezeigt werden.“

Arbeitsschwerpunkte

Wie der Vorstandsvorsitzende erläuterte, liegt ein Schwerpunkt der Arbeit der Versicherungskammer Stiftung bereits seit 2014 darin, Menschen zum ehrenamtlichen Engagement zu befähigen, sie darin zu unterstützen und ihre gesellschaftliche Anerkennung zu fördern. Ein weiterer Zweck der Stiftung ist vor allem die Unterstützung von Projekten von Hilfsorganisationen, konkret „die Förderung der Rettung von Menschen aus Lebensgefahr, die Förderung des Feuer- und Katastrophenschutzes sowie der Unfallverhütung, die Förderung der Kriminalprävention und die Hilfe für Opfer von Straftaten sowie die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zugunsten gemeinnütziger und mildtätiger Zwecke“.

„Um die guten Traditionen in den Kommunen aufrechtzuerhalten, brauchen wir künftig Strukturen, die neben der Förderung des Vereinsgedankens vermehrt auch den Blick auf das Thema Hilfemanagement richten“, machte Reif deutlich. Hierzu könnten Plattformen wie beispielsweise großstädtische Anlaufzentren geschaffen werden. Profis sollten für die Organisation verantwortlich und Ehrenamtliche projektbezogen tätig sein.

Kompetenzen und Stärken nutzen

Auch „Bürger jenseits der Berufsphasen“ sollten nach Reifs Vorstellung integriert werden. Konkret gehe es hierbei um die Gestaltung eines fließenden Übergangs vom Berufsleben in die ehrenamtliche Tätigkeit. „Kompetenzen und Stärken nutzen“ laute die Maxime. Auch dies sei eine der Herausforderungen der Zukunft.

Für diesen Fokus der Stiftungsarbeit bietet neben zwei jährlichen Diskussionsveranstaltungen, die unter dem Aspekt Nachhaltigkeit und Innovation im Ehrenamt stehen, das seit einigen Jahren von der Versicherungskammer Stiftung durchgeführte Ehrenamt Symposium die geeignete Plattform. Dieser lebendige Austausch zwischen Hilfsorganisationen, Politik und Kommunen soll nicht nur die Aufmerksamkeit für das Ehrenamt erhöhen, sondern den Beteiligten auch praktische Hilfen aufzeigen und ihnen die Möglichkeit geben, ihr Netzwerk auszubauen, erläuterte der Vorstand.

Angesichts drängender Nachwuchssorgen in vielen Vereinen und Institutionen beschäftigten sich beim diesjährigen Symposium unter dem Motto „Ehrenamt als Brücke zwischen den Generationen“ renommierte Experten aus ganz Deutschland und zahlreiche Gäste mit der Frage, wie alle Generationen möglichst auch gemeinsam für ein Ehrenamt begeistert werden können.

Prof. Doris Rosenkranz von der Technischen Hochschule Nürnberg informierte beispielsweise über Möglichkeiten, mittels ‚Service-Learning – Lernen durch Engagement‘ Studenten mit dem Ehrenamt vertraut zu machen. Matthias Rohrer (Institut für Jugendkulturforschung, Wien/Hamburg) stellte die wichtigsten Ergebnisse der Studie „Post-68er versus Millenials - 55 bis 65-Jährige und 16 bis 29-Jährige im Generationenvergleich“ vor und berichtete, wie sich das Engagement zwischen Alt und Jung unterscheidet und man den Dialog fördern kann. Weiter informierten je ein Tandem aus der Wirtschaft und aus einem Sportverein darüber, wie Mentoringprogramme den Austausch zwischen den Generationen fördern und zugleich für die Übernahme neuer Aufgaben begeistern können.

Ehrenamtspreis

Im Rahmen des Symposiums wurde auch der Ehrenamtspreis der Stiftung verliehen, die in diesem Jahr unter knapp 90 eingereichten Projekten drei auszeichnete. Unter dem Motto „Mixed Generations – miteinander – füreinander“ zeigen sie beispielhaft, wie das Ehrenamt eine Brücke zwischen den Generationen sein kann.

Die Versicherungskammer Stiftung hat seit ihrer Gründung 2011 rund 80 Projekte gefördert. Einige Beispiele: Seit 2011 bereits unterstützt sie die „Coolrider“, ein 2002 von der VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg gemeinsam mit der Polizei und den Nürnberger Schulen initiiertes Fahrzeugbegleiterprogramm, das unter der Schirmherrschaft des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann steht. Coolrider sind jugendliche Fahrzeugbegleiter, die den Schulweg sicherer und angenehmer machen. Sie schützen Schwächere vor Übergriffen, unterstützen ältere Menschen in ihrer Mobilität und verhindern durch ihre Aufmerksamkeit Vandalismus in Bussen und Bahnen. Sie sorgen insgesamt für eine bessere Atmosphäre im öffentlichen Nahverkehr.

Coolrider-Programm

Ab dem 13. Lebensjahr können Schüler am Coolrider-Programm teilnehmen. Die Ausbildung dauert ca. zwei Monate und wird von zwei erfahrenen Trainern, einem Polizeibeamten und einem Pädagogen der jeweils teilnehmenden Schule geleitet. Von der Initiative profitieren beide Seiten: die Öffentlichkeit und die Coolrider, die durch die Ausbildung ihr Selbstbe-wusstsein stärken und Zivilcourage lernen.

Durch das finanzielle Engagement der Versicherungskammer Stiftung wird das Projekt in die Breite getragen. Die Augsburger Verkehrsgesellschaft war das erste Verkehrsunternehmen, das das Coolrider-Programm adaptierte und umsetzte. Mittlerweile übernehmen die kommunalen Verkehrsbetriebe laut Wolfgang Reif die Finanzierung, weil sich der Vandalismus in von Coolridern begleiteten Fahrzeugen wie Bussen oder U- und Straßenbahnen deutlich abgeschwächt hat.

Viel ehrenamtliches Engagement bindet zweifellos auch die Flüchtlingsproblematik. Das Thema Integration ist nach Reifs Worten zwar nicht unmittelbarer Stiftungszweck, jedoch sei die Initiative Bellevue di Monaco, ein neugegründetes Wohn- und Kulturzentrum für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge und interessierte Münchner, unterstützt worden. Konkret finanziert die Versicherungskammer Stiftung hier die Ausbildung von Ehrenamtlichen.

Unterstützung der Bad Tölzer Bergwacht

Mit einem Förderbetrag von 200.000 Euro unterstützt die Versicherungskammer Stiftung darüber hinaus den neuen Bergwetterraum im Ausbildungszentrum der Bergwacht in Bad Tölz. Dieser ermöglicht die Simulation realer Einsatzszenarien, denn er kann bis auf -20 Grad abgekühlt werden. Handlungsabläufe, die im Ernstfall zügig ablaufen müssen, üben die Bergretter nun unter Extrembedingungen. Zusätzlich sollen im nächsten Schritt Wind und Niederschläge erzeugt werden können. Damit können auch Einsatzmaterialien unter Extrembedingungen vorab getestet werden.

3.000 aktive Bergretter sollen fortan mindestens einmal im Jahr im Bergwetterraum trainieren, um im Einsatz noch schneller und effektiver helfen zu können. Daneben fördert die Stiftung nach Reifs Darstellung auch Fahrsicherheitstrainings z. B. für junge Feuerwehrleute und finanziert Brandschutzkoffer für die Brandschutzerziehung in den Schulen.

Ideen in die Kommunen tragen

„Wir wollen die noch relativ junge Stiftung mit ihren breit gefächerten Möglichkeiten für Förderungen und Kooperationen auch in den Kommunen noch bekannter machen. Viele Projekte wirken gerade auch auf kommunaler Ebene. Kommunalarbeit ist ohne ehrenamtliches Engagement nicht vorstellbar.“ Deshalb wünscht sich Reif, „dass mehr kommunale Vertreter an den Veranstaltungen der Stiftung teilnehmen“.

Weiterführende Infos: www.versicherungskammer-stiftung.de

GZ-Gespräch mit Wolfgang Reif
Die GZ-Chefredakteurin Frau Anne-Marie von Hassel im Dialog mit dem Vorstandsvorsitzenden der Versicherungskammer Stiftung Herrn Wolfgang Reif.

DK

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