Kommunalverbändezurück

(GZ-11-2017)
gz bayerischer landkreistag
► Jahrestagung des Bayerischen Landkreistags:
 
Im Zeichen der Bundestagswahl

 

Landrat Thomas Ebeling, Bürgermeister Martin Birner und Landräte-Präsident Landrat Christian Bernreiter (stehend v. l.) freuen sich über den Eintrag von Innenminister Joachim Herrman ins Goldene Buch von Neunburg vorm Wald. RED 

Die bayerischen Landkreise haben sich bei ihrer zweitägigen Hauptversammlung in Neunburg vorm Wald für die Bundestagswahl positioniert. Als „Dauerbrenner“ formulierte der Präsident des Bayerischen Landkreistags, Landrat Christian Bernreiter, die Auswirkungen der Flüchtlingskrise, die Mehrbelastungen durch das Bundesteilhabegesetz und das Pflegestärkungsgesetz, aber auch Probleme bei der medizinischen Versorgung.

Wie Bernreiter betonte, stünden die Unterbringung von Asylbewerbern, die Wohnsitzzuweisung wie auch die Wohnraumschaffung für anerkannte Flüchtlinge in unmittelbarem Zusammenhang und müssten von der Bayerischen Staatsregierung mit den kommunalen Spitzenverbänden gemeinsam gelöst werden.

Konkrete Forderungen 

Der Bayerische Landkreistag fordert daher die Anpassung der Wohnsitzzuweisung, die Erleichterung und Flexibilisierung bei der Ausweisung geeigneter Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau durch die Gemeinden sowie die Öffnung der 2. Säule des Wohnungspaktes für Wohnungsbaugesellschaften. Lange und hart hätten die Landkreise darum gekämpft, dass der Bund die flüchtlingsbedingten Mehrausgaben der Unterkunft im SGB II erstattet. Dies habe der Bund zugesagt, aber nur bis 2018. Bernreiter: „Wir brauchen die Erstattung auch über 2018 hinaus, denn wir müssen davon ausgehen, nur einen kleinen Teil der Flüchtlinge schnell in den Arbeitsmarkt vermitteln zu können. Für die geplante Mittelverteilung innerhalb Bayerns will ich mich ausdrücklich bei Innenminister Herrmann bedanken. Während die Mehrkosten für das Jahr 2016 noch pauschal erstattet worden sind, bekommen wir für die Jahre 2017 und 2018 einen belastungsgerechten Ausgleich.“

Allerdings laufe es bei der Mehr-Kostenerstattung nicht immer so rund, bemerkte der Verbandspräsident. Im Rahmen des sog. Open-Book-Book-Verfahrens hätten die Landkreise die kommunalen Mehrbelastungen durch die Flüchtlingskrise ermittelt. Das Ergebnis: „Die Landkreise haben 2015 rund 90 Mio. Euro und 2016 mehr als 140 Mio. Euro aus eigener Tasche für die Betreuung der Flüchtlinge draufgelegt. Die Ausgaben der kreisfreien Städte und der Bezirke kommen noch dazu. Dass der Freistaat Bayern zu 100 % die Kosten der Unterkunft und Verpflegung trägt, ist also nicht alles. Ich erinnere an die Zusage unseres Ministerpräsidenten in Ingolstadt, dass wir fair über die Erstattung der bei den Kommunen entstandenen Kosten verhandeln.“

Dagegen habe man im Bereich der unbegleiteten Minderjährigen Ende 2016 einen Fortschritt verbuchen können: Erreicht wurde eine verbesserte Erstattung der Jugendhilfekosten für die volljährigen unbegleiteten Flüchtlinge in Höhe von 112 Mio. Euro bis Ende 2018. Bernreiter forderte, die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen aus dem System der Kinder und Jugendhilfe (dem. sog. SGB VIII) herauszuholen. Wo nötig, müssten sozialpädagogische Zusatzleistungen gewährt werden. Ansonsten gehe es an erster Stelle um die Integration der jungen Menschen.

„Der Inklusionsgedanke darf nicht nur ein Papiertiger sein. Die Verbesserung der Leistungen für Menschen mit Behinderung durch das neue Bundesteilhabegesetz ist deswegen richtig und wichtig“, fuhr der Präsident fort. Die stetig steigenden Sozialausgaben dürften aber die kommunalen Finanzen nicht derart belasten, dass Projekte zur Zukunftsgestaltung in den Landkreisen nicht mehr möglich sind. Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung stelle für die bayerischen Kommunen eine hohe finanzielle Belastung dar.

Bernreiter zufolge sind die Ausgaben in der Eingliederungshilfe in nur 15 Jahren um 1,3 Mrd. Euro, d.h. um exakt 102 % angestiegen. Deswegen sei es eine Erleichterung gewesen, „dass der Bund uns ab 2018 jährlich 5 Milliarden Euro zur Verfügung stellt“. In diesem Zusammenhang wies Bernreiter aber auch darauf hin, „dass die 5 Mrd. Euro bereits 2022 wieder aufgezehrt wären. Dann ist es mit der Stärkung der kommunalen Finanzen über die 5 Mrd. Euro‚ die der Bund auf den Weg gebracht hat, schon vorbei.“

Diese finanzielle Stärkung sei bewusst von der Eingliederungshilfe entkoppelt worden. Bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Bayern sehe man auch den Freistaat in der Pflicht. „Wir erwarten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach einen vollständigen Ausgleich der Mehrkosten. Dazu müssen bereits jetzt bei der Neubestimmung der Trä- ger der Eingliederungshilfe entsprechende Vorkehrungen getroffen werden“, hob der Landkreistagschef hervor.

In punkto medizinische Versorgung bezeichnete Bernreiter die Pflegestützpunkte oder die Modellkommunen für die kreisfreien Städte und Landkreise in Bayern als nicht besonders attraktiv. Er forderte den Bund auf, hier noch einmal nachzusteuern. „Wir brauchen den Bund aber nicht nur bei unseren ‚sozialen‘ Aufgaben. Wir brauchen ihn auch als Verbündeten, wenn es um die Zukunftsarchitektur unserer Krankenhäuser geht. Seit Jahren kämpfen wir täglich in Krankenhäusern gegen rote Zahlen und Ärztemangel auf dem Land. Wir werden aber immer weiter in die Enge getrieben“, merkte der Präsident an. Ohne die Unterstützung von Bund, Freistaat und Kassen werde die Aufrechterhaltung der Versorgungsstruktur in der heutigen Form zur „Quadratur des Kreises“. Natürlich wisse man, dass in Zukunft nicht jedes Haus zu halten ist. Fast die Hälfte der Krankenhäuser in Bayern (42 % von 363 Häusern) schreibt rote Zahlen – trotz Abfederung über die Kreishaushalte.

Das System kranke, was besonders kleinen Häusern zum Nachteil gereiche. Dies schwäche den ländlichen Raum und führe zum Versorgungsnachteil für zwei Drittel der bayerischen Bevölkerung. „Was dabei herauskommt, wenn man Entscheidungen abschiebt, sieht man an der Diskussion bei den Hebammen oder bei der Neonatologie – um nur zwei hochbrisante Beispiele zu erwähnen“, so Bernreiter.

Seiner Ansicht nach muss sich die Krankenhausfinanzierung der Zukunft stärker am Patientenwohl und an der Flächenversorgung statt einer weiter zunehmenden Ökonomisierung orientieren. Die Krankenhäuser in der Fläche müssten heute schon vielfach Defizite im niedergelassenen Bereich ausgleichen und seien nicht selten der letzte Ankerpunkt für die medizinische Versorgung.

Der Staat habe Farbe zu bekennen und seinen Kommunen Rü- ckendeckung zu geben, erklärte der Verbandschef. „Wir kämpfen schon lange für den Erhalt der akutstationären Krankenhausversorgung im ländlichen Raum und werden es auch weiterhin tun. Für den Bau und die Ausstattung der Krankenhäuser stehen seit 2013 jährlich rund 500 Mio. Euro zur Verfügung. Durch den medizinischen Fortschritt brauchen wir eine Anhebung der Förderpauschalen und Finanzmittel um 40 bis 60 Mio. Euro pro Jahr und für die Förderung der Einzelmaßnahmen eine Anhebung um 80 Mio. Euro pro Jahr, insbesondere auch mit Blick auf anstehende Großprojekte in den Kliniken in München, Augsburg und Ingolstadt. Sonst bleibt nichts für unsere Häuser übrig. Der Ansatz der Krankenhausförderung muss deshalb 2018 auf 620 bis 640 Mio. Euro angehoben werden.“

Stichwort Breitbandausbau: Nach Bernreiters Worten stellen Bund und Freistaat hierfür bisher rund 4 Mrd. Euro an Fördermitteln zur Verfügung. Dank der Unterstützung des Freistaats befinden sich 96 % der Kommunen bereits im Förderverfahren des Bayerischen Breitbandförderprogramms. Aber schon heute sei absehbar, dass weder die bereitgestellten Mittel noch die geförderten Bandbreiten ausreichen werden. „Wir fordern daher vom Bund, die Fördermittel zu erhöhen und auf die Glasfaser-Technologie zu setzen. Dazu passt die Idee unseres Ministerpräsidenten, Bayern zum ersten ‚Gigabit-Bundesland‘ zu machen.“

Auch fordern die Landkreise den Bund dazu auf, im Rahmen der Frequenzvergabe für den Ausbau von Mobilfunknetzen der nächsten Generation (5G) verbindliche Auflagen zur flächendeckenden Versorgung gerade auch des ländlichen Raums auszusprechen. „Die Zukunftsfähigkeit unserer Landkreise wird sich an unserer Befähigung und Bereitschaft entscheiden, uns den Herausforderungen der digitalen Gesellschaft zu stellen. Nicht nur aus Sicht der Verbraucher, sondern auch aus Sicht des Dienstleisters“, stellte der Präsident fest.

Häufig durch rechtliche Hürden gebremst werde der Ausbau der digitalen Verwaltung, monierte Bernreiter. Dies gelte insbesondere für die mehr als 2.000 Schriftformerfordernisse im Verwaltungsrecht des Bundes. Der Bund müsse daher für die elektronische Signatur und die elektronische Identifizierung endlich Lösungen zulassen, die mit geringen Einstiegshürden für die breite Bevölkerung nutzbar sind.

Bayern habe als erstes Bundesland das im Rahmen der elektro nischen Steuererklärung millionenfach bewährte Verfahren „Authega“ als Grundlage für einen neuen Schriftformersatz zugelassen. Die Zahl der elektronisch abgegebenen Steuererklärungen habe 2016 mit 21 Mio. einen neuen Höchststand erreicht. Dieses Potenzial dürfe beim E-Government nicht verschenkt werden. „Wir fordern, dass der Bund hier nachzieht und Lösungen aufzeigt, wie die im Rahmen der elektronischen Steuererklärung ausgegebenen Zertifikate auch für einen allgemeinen Schriftformersatz genutzt werden können“, machte Bernreiter deutlich.

In ihren Wahlprüfsteinen formulierten die bayerischen Landkreise alle Forderungen an den Bund. Diese wurden an den Geschäftsführer des Deutschen Landkreistags, Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, übergeben, damit sie in Berlin Gehör finden. Aber auch Bayerns Staatsminister Joachim Herrmann, MdL, sicherte den bayerischen Landkreisen als CSUSpitzenkandidat für die Bundestagswahl seine Unterstützung zu. „Als Kommunalminister werde ich zusammen mit meinen Kollegen Markus Söder und Melanie Huml die kommunalen Belange bei der Krankenhausfinanzierung weiter im Auge behalten. Bayern wird ein verlässlicher Finanzierungspartner für seine Krankenhäuser bleiben.“

Starke Rolle der Landkreise im Freistaat

Herrmann stellte die starke Rolle der bayerischen Landkreise im Freistaat heraus. „Damit die Kommunen ihre vielfältigen und wichtigen Aufgaben kraftvoll erfüllen können, müssen wir sie finanziell gut ausstatten.“ Die kommunalen Steuereinnahmen seien – ausgehend von einem Rekordniveau – im Jahr 2016 um weitere 5,9 Prozent gestiegen. 2017 werden 15 Milliarden Euro aus dem Staatshaushalt an die Kommunen fließen. Vor allem über den kommunalen Finanzausgleich greife der Freistaat den Gemeinden, Landkreisen und Bezirken tatkräftig unter die Arme. Heuer wird den Kommunen die Rekordsumme von 8,9 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. „Das sind 352 Millionen Euro mehr als noch im Jahr 2016“, erklärte Herrmann. „Wir tun in Bayern einfach mehr für unsere Kommunen als viele andere Bundesländer. Vom starken Auftritt unserer Kommunen profitieren dann die Menschen im Freistaat.“

Laut Herrmann legten die staatlichen Fördermittel für den kommunalen Hochbau dieses Jahr um satte 70 Millionen Euro zu, so dass die Kommunen heuer von einer halben Milliarde Euro profitieren. Das Geld soll insbesondere in Schulen und Kindertageseinrichtungen fließen. Auch die kräftigen Investitionen in den bayerischen Straßenbau kommen den Kommunen zu Gute. Bei den Bundesfernstraßen steuert der Freistaat auf ein neues Straßenbau-Rekordjahr zu. Im Jahr 2016 fließen mit 1,35 Milliarden Euro rund 50 Prozent mehr Mittel in Bayerns Bundesfernstraßen als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Im Staatsstraßenhaushalt stehen mit 421 Millionen Euro ebenfalls so viel Mittel bereit wie nie zuvor. Auch der Straßenbau der Landkreise, Städte und Gemeinden wird mit mehr als einer halben Milliarde Euro kräftig unterstützt.

„Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Bedrängnis“ lautete das Thema des Vortrags von Prof. Dr. jur. Peter M. Huber, Minister a.D. und Richter des Bundesverfassungsgerichts. Nachdem sich der demokratische Verfassungsstaat nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst im Westen und Süden Europas und nach der Zeitenwende der Jahre 1989/90 in ganz Europa durchsetzen konnte, befinde er sich seit einigen Jahren zunehmend in der Defensive. Russland und die Türkei hätten sich immer mehr in autoritäre Regime verwandelt, in denen die Verfassungsgerichte keine ernsthafte Rolle mehr spielen. Aber auch in manchen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gerieten die Errungenschaften demokratischer Verfassungsstaatlichkeit zunehmend unter Druck. Huber: „Der Rechtsstaat ist wichtiger als alles andere. Ohne Recht können wir kein verlässliches Zusammenleben organisieren.“

Einblicke in „Zentrale Anliegen der Kreise an die Bundespolitik“ und in die Arbeit des Deutschen Landkreistags gab Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistags. „Als Deutscher Landkreistag versuchen wir immer Konsenslösungen zu erreichen, die für alle passen“, erläuterte Henneke, der den bayerischen Landkreisen größten Respekt für ihre Leistungen in der Flüchtlingskrise zollte. „Das war eine Herausforderung für den kommunalen Bereich in Deutschland insgesamt. Die Hauptlast der Flüchtlingszunahme war aber in Bayern.“

„Die wachsende Flut an Verdrehungen, Halbwahrheiten und Lügen im Netz ist ein Phänomen, das eine Gefahr für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und die Demokratie darstellt“, betonte der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm. Das Phänomen von „Fake News“ sei zwar nicht neu, habe aber neue Möglichkeiten eröffnet. Das Meinungsspektrum von Menschen könne sich so verengen.

Im Vortrag „Politik und Medien in Zeiten von Fake News“ legte Wilhelm dar, dass es die Aufgabe der Medien ist, die Gesamtöffentlichkeit zu bilden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erreiche heute noch zwei Drittel der Bevölkerung. Dies verpflichte auch die Redakteure in seinem Haus. Aufgabe der Medien sei es, kritisch mit den Dingen umzugehen und eine differenzierte Meinungsbildung sachgerecht aufzubereiten. 

DK

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