Kommunalverbändezurück

(GZ-14-2016)
gz bayerischer staedtetag
► Bayerischer Städtetag in Memmingen:
 
Zuwanderung und Integration
 

Das Podium, v. l.: Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan, Prof. Dr. Petra Bendel, Innenminister Joachim Herrmann, Stephanie Hein-zeller, Dr. Christoph Hammer, Dr. Sigrid Meierhofer sowie
Dr. Mario Paul.
Bild: RED

Die unterschiedlichen Facetten von Integration, die für das Zusammenleben in den Städten und Gemeinden entscheidend sind, wurden bei der zweitägigen Vollversammlung des Bayerischen Städtetags in Memmingen thematisiert. Die Veranstaltung war auch die Abschiedsvorstellung für den Gastgeber, Rathauschef Dr. Ivo Holzinger. Der 68-Jährige, der die Kommune seit 1980 regiert, ist Deutschlands Dienstältester Oberbürgermeister. Im Herbst dieses Jahres scheidet er nach sechs Amtsperioden aus. 


„Eigentlich ist Integrationspolitik Stadtpolitik in ihrem ursprünglichsten Sinn“, führte Städtetagsvorsitzender Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, Nürnberg, in seiner Grundsatzrede aus. „Kommunen können Integration, sie handeln schon lange. Integration geschieht über viele Stufen und Etappen hinweg. Das ist eine Aufgabe für Generationen. Integration bereitet den Kommunen viel Arbeit und Kosten, aber die Mühen lohnen sich“, so Maly.

Politikfelder verzahnen

Integration ist keine alleinige Aufgabe der Kommunen; Bund und Länder müssen sich dieser gesellschaftlichen Aufgabe stellen, denn hier verzahnen sich viele Politikfelder, wie Städtebau und Wohnungsbau, Bildung, Sozialpolitik und Arbeitsmarktpolitik, Ehrenamt, Kultur und Sport. Maly: „Es gibt ein Leitmotiv, das alle Bereiche von Integration durchzieht: Die Kommunen leisten ihren Beitrag und werden ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gerecht. Kommunen leisten viel für Integration, aber sie müssen es sich auch leisten können. Es darf keine kalte Kommunalisierung von Integrationskosten geben. Bund und Länder dürfen sich ihrer Verantwortung nicht entziehen.“

Integration berührt viele Bereiche: Mobilisierung von Bauland, den sozialen Wohnungsbau, den Arbeitsmarkt, das betrifft Jugendhilfe und Sozialhilfe, das umfasst Kinderbetreuung in Kindergärten, Kitas und Horten, das umgreift Erziehung und Schule. Wie Maly hervorhob, stehen die Zeichen auf Integration, denn Zuwanderung sei trotz vieler Herausforderungen eine Chance. „Bayern ist nicht zuletzt wegen der Integrationsarbeit in den Städten und Gemeinden ein Vorbild der Integration.“

Wohnbauförderung

Wenn ein Gemeinwesen zu wenig auf Integration achtet, wächst die Gefahr, dass Konfliktherde vor der eigenen Haustür wachsen, fuhr der Städtetagschef fort. „Sobald bezahlbare Wohnungen fehlen, steigt die Gefahr von sozialen Spannungen und wächst Konkurrenz zwischen Einheimischen und Zuwanderern. Der Zuzug von Flüchtlingen erhöht den Druck auf den Wohnungsmarkt – gerade um bezahlbare Wohnungen. Hier rächt sich die Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus. Leider sind die dauerhaften Forderungen des Städtetags nach Intensivierung der Städtebauförderung und Belebung des sozialen Wohnungsbaus erst spät aufgegriffen worden. Aber immerhin ist nun Bewegung in den Wohnungsbau gekommen. Jetzt öffnet sich die Chance für eine Renaissance des geförderten Wohnungsbaus.“

Wege aus der Armut

Integration ist die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben, einzubeziehen sei neben den Zuwanderern immer auch die deutsche Bevölkerung, unterstrich Maly. „Wir wollen alle mitnehmen. Keiner darf auf der Strecke bleiben. Städte müssen sich um Menschen mit Migrationshintergrund kümmern und müssen für alle Menschen Wege aus der Armut, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit öffnen. Städte müssen eine Klammer bilden, um Menschen mit Migrationshintergrund oder bildungsferne Schichten einzubinden. Die Spaltung der Gesellschaft gründet in ungleichen Chancen bei der Bildung. Damit sich Chancenlosigkeit nicht Bahn bricht, müssen wir in der Bildung ansetzen.“

Qualifizierte Ausbildung

Je qualifizierter die Ausbildung, desto größer die Chancen am Arbeitsmarkt. Nach den Worten des Verbandsvorsitzenden „beginnt Integration mit Bildung, mit dem Erlernen der deutschen Sprache, es geht um Schulabschlüsse und Ausbildungsabschlüsse. Neben der fachlichen Qualifikation geht es um kulturelle Kompetenzen. Es geht um den Respekt vor den Regeln des Zusammenlebens und die Einhaltung der demokratischen Rechtsordnung in Deutschland. Die deutsche Gesellschaft erwartet die Anerkennung ihrer bewährten verfassungsrechtlichen Grundwerte, die unantastbar sind, wie Menschenwürde, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau. Im Alltag bedeutet das gelebte Toleranz.

Frühe Bildung

Bildung setzt früh an, sie reicht von der frühkindlichen Bildung und der Schule bis zur Hochschule. Maly verwies auf Krippen, Kindergärten, Kindertagesstätten, Schulen, Musikschulen, Volkshochschulen, Kultureinrichtungen, Sportstätten: „Das sind Lernorte und Orte des Zusammenlebens für Kinder und Eltern, an denen sich niemand abkapseln kann. Hier treffen sich unterschiedliche Nationen, Schichten und Sozialmilieus. Diese Orte ermöglichen die Teilhabe an Bildung, sind eine Basis des Miteinanders, schlagen Brücken und schaffen aus der Vielfalt eine Einheit.“ Kitas ebneten den Weg, um Kinder und Eltern zu erreichen – egal welcher Herkunft sie sind, ob sie aus armen Familien stammen oder aus bildungsfernen Milieus.

Bei Schulen sind nicht allein die Kommunen gefordert, sondern besonders der Freistaat. Eine Schlüsselrolle in der Bildung kommt den Ganztagsschulen zu. Maly zufolge ist der flächendeckende Ausbau der Ganztagsschule das effizienteste Mittel, um Schüler unterschiedlicher Herkunft zu fördern. „Der Freistaat muss den Ausbau der Ganztagsbeschulung forcieren, damit Schüler mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen Milieus einen einfachen Zugang zu Bildung erhalten.“

Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, rief die bayerischen Kommunen zu noch stärkerem weltweiten Engagement in internationalen Partnerschaften auf. Nicht zuletzt bei der Integration von Flüchtlingen hätten bayerische Städte und Kommunen Außergewöhnliches geleistet. Dieses Know-how sollte auch Städten und Gemeinden in Entwicklungs- und Schwellenländern zugänglich gemacht werden.

Fluchtursachen bekämpfen

Derzeit sind weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht. „Wir können um Europa keine Mauer oder Zäune bauen, um die Flüchtlinge davon abzuhalten, zu uns zu kommen. Wir können aber auch nicht alle Menschen, die in Not sind, zu uns holen“, unterstrich Müller. Fluchtursachen bekämpfen und Menschen vor Ort Zukunftsperspektiven ermöglichen, laute die Devise: Nur so könne man die Menschen dazu bringen, in ihrer Heimat zu bleiben, betonte Müller. Dazu sei ein noch stärkeres Engagement in den krisengeschüttelten Ländern nötig. „Wir müssen neue Konzepte finden und neue Verantwortung übernehmen“, forderte der Minister.

Müller zufolge wächst die weltweite Stadtbevölkerung jede Woche um die Einwohnerzahl Münchens. Diese Menschen müssen ernährt werden, sie benötigen sauberes Trinkwasser und eine funktionierende Gesundheitsversorgung. „Die baye-rischen Kommunen können all dies. Daher sind sie für uns ein strategischer Partner, wenn es um wirtschaftliche, klimafreundliche und nachhaltige Lösungen für urbane Zentren in Entwicklungs- und Schwellenländern geht.“

Klimapartnerschaft

Knapp 50 bayerische Kommunen engagieren sich bereits in der Entwicklungszusammenarbeit. So unterhält die Stadt Nürnberg beispielsweise eine Klimapartnerschaft mit der Stadt San Carlos in Nicaragua. Das BMZ unterstützt das entwicklungspolitische Engagement deutscher Städte und Kommunen unter anderem über die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt, die beratend zur Seite steht. Noch in diesem Jahr wird laut Müller außerdem ein Online-Portal eingerichtet, in dem die Bedarfe der Kommunen in Entwicklungs- und Schwellenländern mit dem Know-how deutscher Kommunen zusammengeführt werden können.

In einer sich anschließenden Podiumsdiskussion, an der sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, Prof. Dr. Petra Bendel, Zentralinstitut für Regionenforschung, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan, Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung, Universität Duisburg-Essen, Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer, Dinkelsbühl, Erste Bürgermeisterin Dr. Sigrid Meierhofer, Garmisch-Partenkirchen, und Erster Bürgermeister Dr. Mario Paul, Lohr am Main beteiligten, wurde deutlich, dass das Engagement der Kommunen u.a. dann gefragt ist, wenn es darum geht, Expertise einzubringen.  

Best-Practice-Beispiele

Dass die Flüchtlingskrise noch nicht ausgestanden ist, darauf machte Prof. Bendel aufmerksam. Die Wissenschaftlerin leitet derzeit ein Forschungsprojekt zur Flüchtlingspolitik („Was Flüchtlinge brauchen“), eine Studie zu Best-Practice-Beispielen für die Integration von Flüchtlingen („Voneinander Lernen“) sowie eine Auftragsstudie zu den Rechten weiblicher Asylsuchender in Deutschland und Belgien für das Europäische Parlament.

Das Ziel der europäischen Bevölkerung müsse es sein, menschlich Hilfestellung zu geben und gegen das Schlepper-Gewerbe vorzugehen. Und das, so Petra Bendel, würde am besten funktionieren, indem man sichere Routen schaffe und Asylverfahren optimiere. Damit Flüchtlinge auch wieder in ihre Heimat zurückkehrten, müssten alle europäischen Länder an einem Strang ziehen. Bedauerlicherweise sei dies bislang nicht der Fall, da die meisten Staaten ihre Beteiligungen schuldig blieben.

Wie Innenminister Herrmann feststellte, sei Hilfe vor Ort das Gebot der Stunde, damit nicht alle Flüchtlinge nach Europa kommen. Im Übrigen trage das deutsche Asylsystem  auf Dauer nur, „wenn wir nicht nur anerkennen, sondern im Falle einer Ablehnung genauso konsequent zu-rückführen“. Staaten, die sich gegen eine Rückkehr ihrer eigenen Landsleute sperren, müssten die Konsequenzen spüren.
Zum Ende der Jahrestagung verabschiedete die Vollversammlung des Bayerischen Städtetags eine Resolution mit Forderungen an die Bayerische Staatsregierung sowie an Bund und Land. Der Freistaat Bayern wird unter anderem aufgefordert, die von den kommunalen Spitzenverbänden aufgezeigten finanziellen Mehrbelastungen einschließlich der Personal- und Verwaltungskosten bei der Betreuung, Unterbringung und Integration von Asylbewerbern und Flüchtlingen anzuerkennen und mit den kommunalen Spitzenverbänden umgehend in ein Verfahren einzutreten, das auf eine schnelle aufgabenbezogene finanzielle Entlastung der kommunalen Ebene abzielt.

Dabei müssten die steigenden finanziellen Belastungen der Kommunen in den kommenden Jahren angemessen berücksichtigt werden. Dazu gehöre auch, finanzielle Mittel des Bundes an die Kommunen aufgabenbezogen weiterzureichen. Die finanzielle Entlastung soll grundsätzlich außerhalb des kommunalen Finanzausgleichs erfolgen. Lediglich für kommunale Investitionen in Bildungs- und Erziehungseinrichtungen sei die Förderung nach Art. 10 FAG ein geeigneter Entlastungsweg.

Bürgerengagement

Darüber hinaus seien finanzielle Mittel für die hauptamtliche Begleitung von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern und für die Anmietung von Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen und das freiwillige bürgerschaftliche Engagement damit stärker zu unterstützen. Auch sollten die Kosten der Kinder- und Jugendhilfe, die für unbegleitete junge volljährige Ausländer anfallen, zumindest für einen Übergangszeitraum von zwei Jahren erstattet werden.

Ferner sollen auch den Kommunen für Kindertageseinrichtungen, Jugendarbeit, Jugendhilfe und Schulen die flüchtlingsbedingten Mehraufwendungen als Folgekosten der Zuwanderung erstattet und für die zusätzlichen Raumbedarfe umgehend ein Sofortförderprogramm aufgelegt werden. Überdies müssten Angebote an Ganztagsbeschulung, Mittagsverpflegung und Betreuung quantitativ ausgebaut und finanziert werden; zudem sei Fachpersonal für die inhaltliche Weiterentwicklung der Angebote zur Verfügung zu stellen.

Durchgehende Beratung

An die Adresse von Bund und Land wurden u.a. folgende Forderungen gerichtet:

  • eine unterbrechungsfreie Beratung der Zugewanderten durch Verzahnung von Asylsozialberatung und Integrationsberatung sicherzustellen und auskömmlich zu finanzieren.
  • vorhandene Fähigkeiten und Kenntnisse der Zugewanderten möglichst rasch festzustellen und die Dauer der Anerkennungsverfahren einer im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikation zu verkürzen. Konzepte zur Anpassung vorhandener Berufs- und Studienabschlüsse an deutsche Vorgaben müssen erarbeitet werden, so dass Vorkenntnisse optimal genutzt werden können.
  • die Vermittlung der deutschen Sprache langfristig und flächendeckend sicherzustellen, bis zum Erfolg zu finanzieren und frühzeitig passgenaue Angebote zu entwickeln (Anpassungsmaßnahmen, Deutschförderung, Brückenmaßnahmen, Vereinbarkeit mit einer Berufstätigkeit), deren Finanzierung sichergestellt ist.
  • die städtebaulichen Vorkaufsrechte der Gemeinden und das beschleunigte Bebauungsplanverfahren zugunsten des Wohnungsbaus zu optimieren, staatliche Liegenschaften verbilligt zur Verfügung zu stellen und außerhalb des Baurechts Anreize zur Flächenmobilisierung zu schaffen, zum Beispiel durch eine befristete steuerliche Begünstigung der Grundstücksveräußerungen von Landwirten an Städte und Gemeinden.
  • die staatliche Wohnraumförderung zu vereinfachen, zu verbessern und Wohnungsbauförderprogramme stärker auf die Vielzahl kommunaler Wohnungsgesellschaften auszurichten.
  • den Jobcentern ausreichend qualifiziertes Personal und arbeitsmarktpolitische Förderinstrumente für die Integrationsaufgabe zur Verfügung zu stellen.

DK

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