Kommunalverbändezurück

(GZ-14-2016)
gz bayerischer bezirkstag
► Bayerischer Bezirketag im Kloster Banz:
 
Psychiatrie von Morgen
 

Gerade in den vergangenen Jahrzehnten vollzog sich im Fachbereich Psychiatrie ein großer Wandel – weg von der „Verwahrpsychiatrie“ hin zu einer modernen, flächendeckenden und gemeindenahen Versorgungsstruktur. Im Rahmen der diesjährigen Vollversammlung des Bayerischen Bezirketags im oberfränkischen Kloster Banz zog der Verband eine Bilanz seiner Reformbestrebungen der vergangenen Jahrzehnte.


In der Diskussion mit Vertreterinnen und Vertretern der Psychiatrieerfahrenen, der Angehörigen und der Landespolitik ging es dem Bezirketag insbesondere darum, die „Psychiatrie von Morgen“ schon heute aktiv mitzugestalten und eine langfristige Perspektive, eine Vision der Psychiatrie der Zukunft, zu entwickeln.

Die bayerischen Bezirke treten schon seit längerem für ein Gesetz ein, das Hilfe- und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Erkrankungen regelt. Das derzeit noch geltende Unterbringungsgesetz aus dem Jahre 1992 soll durch ein Bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) abgelöst werden, das die Hilfe für psychisch kranke Menschen in den Vordergrund stellt.

Akzeptanz des Gesetzes

Wie der Präsident des Bayerischen Bezirketags Josef Mederer, unterstrich, „brauchen wir ein Gesetz, das von den betroffenen Menschen akzeptiert wird, weil es ihre Rechte schützt und den Hilfeaspekt in den Vordergrund rückt. Zudem soll es Orientierung geben, wie das Hilfesystem im Vorfeld einer Krise ausgestaltet sein muss und so ineinandergreift, damit es am besten gar nicht zu einer Unterbringung kommt.“

Auch Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml ist daran gelegen, die Versorgung von Menschen in psychischen Krisen weiter zu verbessern. Psychische Krisen seien existentielle Notfälle. Ein hierauf spezialisierter Krisendienst könne ein erster Hilfsfixpunkt sein. „Mein Ziel ist deshalb ein bayernweit flächendeckender Ausbau dieser Dienste. Ich freue mich, dass die Bezirke und ich dasselbe Ziel verfolgen.“

Derzeit gibt es solche Krisendienste bereits in München, in Mittelfranken sowie in Regensburg und Würzburg. Huml kündigte an: „Wichtig ist mir, dass sich das Angebot an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort orientiert. Deshalb ist es unerlässlich, dass der Ausbau nach den Maßgaben der Bezirke erfolgt.“

Starkes Signal

Die Ministerin begrüßte es, dass die Bezirke die flächendeckende Notfall-Versorgung von Menschen in psychischen Krisen sowie die Hälfte der anfallenden Kosten übernehmen wollen. Dies sei ein starkes Signal an den Bayerischen Landtag, der über den verbleibenden staatlichen Anteil entscheidet. „Ich bin zuversichtlich, dass wir auch diese Frage in den kommenden Monaten klären werden.“

Wie Huml unterstrich, „ist das PsychKHG auf einem guten Weg. Mein Ziel ist es, dass möglichst viele Anregungen von Experten, aber auch von Betroffenen sinnvoll Eingang in den Gesetzes-entwurf finden. Qualität geht vor Schnelligkeit. Klar ist: Ich möchte die Rechte psychisch kranker Menschen stärken. Dazu gehört, dass Zwangsunterbringungen in psychiatrischen Einrichtungen so weit wie möglich vermieden werden. Außerdem sollen Angehörige mehr als bisher eingebunden und die Selbsthilfe weiter gestärkt werden.“

Expertenkreis

Die Sicherstellung der psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Versorgung ist in erster Linie Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns und der Bayerischen Bezirke. Unterstützung kommt jedoch von der Staatsregierung. Das Bayerische Gesundheitsministerium hat bereits 2010 einen Expertenkreis Psychiatrie etabliert, an dem alle relevanten Akteure der psychiatrischen Versorgung vertreten sind, einschließlich der Selbsthilfe. Dieser Expertenkreis war für die Abstimmung des neuen Gesetzes zu einem Runden Tisch erweitert worden.

Vielfältige Versorgung

Nach den Worten der Ministerin „hat Bayern bereits ein vielfältiges Versorgungsangebot für Menschen mit psychischen Störungen“. Der Freistaat und die Kommunen hätten in den vergangenen vier Jahrzehnten rund 1,7 Milliarden Euro an Fördermitteln für den Ausbau und die stetige Modernisierung der psychiatrischen Kliniken ausgegeben. In den kommenden Jahren seien weitere Investitionen von rund 190 Millionen Euro zur Finanzierung eingeplant.

Zu den Inhalten eines PsychKHG verabschiedete der Bayerische Bezirketag eine Resolution. Darin begrüßt der Verband den von Staatsministerin Huml durchgeführten Konsensprozess, in dem im Rahmen eines Runden Tisches Eckpunkte für ein PsychKHG erarbeitet worden sind. Mit seinen bereits im Mai 2014 verabschiedeten notwendigen Inhalten eines solchen Gesetzes habe sich der Bayerische Bezirketag intensiv in diesen Prozess eingebracht.

Krisennetzwerk

Kernforderungen des Bayerischen Bezirketags für ein Psych-KHG sind insbesondere:

1. Die Schaffung eines flächendeckenden Krisennetzwerks mit sieben regionalen Leitstellen und aufsuchender Krisenintervention als neues verpflichtendes Struktur-element. Dabei soll die Verantwortung für die Einführung und für regionale Lösung im Sinne einer Hinwirkungsverpflichtung bzw. Netzwerkkoordination bei den Bezirken liegen. Der Freistaat Bayern wird weiter aufgefordert, mindestens 50 % der ungedeckten Kosten des Krisennetzwerks zu refinanzieren. Als wesentliche Kostenbeteiligung könnte beispielsweise angesehen werden, mindestens die Kosten für die Leitstellen als neues Strukturelement durch den Freistaat zu übernehmen.

2. Zwangsmaßnahmen sollen nur als „ultima ratio“ möglich sein – daher wird eine regelmäßige Berichterstattung über Zwangsmaßnahmen und über die Zahl untergebrachter Menschen in allen Einrichtungen gefordert. Voraussetzung ist eine zentrale Erfassung von Zwangsmaßnahmen und Unterbringungen in allen Einrichtungen, also auch außerhalb psychiatrischer Kliniken, in einem zentralen Zwangs-Register.

3. Verbesserung der Prävention von psychischen Störungen, beispielsweise durch Fortbildungsangebote für medizinisches, soziales und pädagogisches Fachpersonal und die Vermittlung von Basiskompetenzen in der Ausbildung von Lehr-, Polizei- und Verwaltungskräften.

Organisierte Selbsthilfe

4. Die verstärkte Einbindung von Selbsthilfe und Angehörigen, insbesondere durch die verpflichtende Einbindung von Betroffenen- und Angehörigenvertretern durch ein obligatorisches Benennungsrecht seitens der organisierten Selbsthilfe in regionalen und überregionalen Planungsgremien.

5. Einrichtung regionaler unabhängiger Beschwerdestellen

Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

6. Neuregelung des Rechts der öffentlich-rechtlichen Unterbringung, nur im Falle einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung bei fehlendem freien Willen, wenn andere Möglichkeiten zur Abwendung der Gefährdung erfolglos geblieben sind, mit klaren Regelungen zu den Patientenrechten. Sie soll so weit wie möglich offen in einem psychiatrischen Krankenhaus erfolgen und nur solange sie der Behandlung dient. Die Regelungen zur Zwangsbehandlung sollen entsprechend dem Maßregelvollzugsgesetz übernommen werden.

7. Verbindliche Kooperation und Vernetzung aller Akteure durch flächendeckende regionale Steuerungsverbünde

8. Einführung einer Psychiatrieberichterstattung mit regelmäßiger Erhebung bevölkerungs-, einrichtungs- und maßnahmebezogener Daten, die dem Bayerischen Landtag vorzustellen ist. Die Weiterentwicklung der Versorgung soll durch ein vom Landtag beauftragtes Gremium begleitet werden.

Konsensorientierung

Der Bayerische Bezirketag fordert mit Nachdruck, dass sich die Staatsregierung an den im breiten Konsens mit Betroffenen, Angehörigen, Leistungserbringern und Leistungsträgern gefundenen Ergebnissen der Arbeitsgruppen und den genannten Kernforderungen im weiteren Gesetzgebungsprozess eng orientiert.

DK
 

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