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(GZ-13-2018)
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Fluchtursachen bekämpfen – wirksam helfen

CSU-Informationsveranstaltung in München-Obermenzing mit Bundesminister Gerd Müller und Bürgermeister Josef Schmid

„Fluchtursachen bekämpfen“ lautete der Titel einer von der CSU initiierten Veranstaltung in München-Obermenzing. Neben Landtagskandidat und Zweitem Bürgermeister Josef Schmid hieß der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, willkommen. 

GZ 13 2018 Mueller

Dr. Gerd Müller. RED 

Wie Pilsinger in seiner Begrüßung betonte, habe Minister Müller in den vergangenen Jahren viel inhaltliches Stehvermögen gezeigt und demonstriert, „dass Entwicklungshilfepolitik nicht nur darin bestehen muss, Geld in Dritte Welt-Länder zu transferieren, sondern dass man dies auch mit konkreten Zielen verknüpft, in dem man konkret Fluchtursachen beseitigt“. „Entwicklungshilfen sind Investitionen vor Ort. Und diese haben einen deutlich höheren Wirkungsgrad, als nach der Fluchtbewegung“, unterstrich Pilsinger. Für den BMZ-Etat sehe die Bundesregierung 900 Mio. Euro zusätzlich vor – eine Steigerung von zehn Prozent innerhalb eines Jahres. Damit verknüpft seien sinnvolle Investitionen, mit denen Lösungen für die globalen Fluchtbewegungen angeboten werden.

Drei Säulen der Hilfe

Laut Münchens Zweitem Bürgermeister Josef Schmid gibt es bei den schwierigen Themen Flucht, Migration, Vertreibung, Integration und Hilfe nicht nur eine einzige Sichtweise, vielmehr seien es nach Ansicht der CSU drei Säulen. „Wir sind eine christlich-soziale Partei, deshalb besteht die erste Säule darin, den Menschen zu helfen, die bei uns Hilfe suchen und die rechtmäßig eine Bleibeperspektive haben. Um jedoch gut helfen zu können, müssen wir Zuwanderung begrenzen. Das ist die zweite Säule. Die wirtschaftlichen Probleme der einzelnen Länder können wir nicht hier bei uns lösen. Aber wir müssen den Ländern vor Ort helfen. Denn sonst kommen die Menschen zu uns. Deshalb, und das ist die dritte Säule, müssen wir Fluchtursachen vermeiden.“

Deutsche Kommunen können hier mit ihrem Know-how, ihren Erfahrungen und Fertigkeiten einen Beitrag zur Entlastung der Aufnahmekommunen leisten. Dies ist der Ansatz für die 2016 gestartete neue BMZ-Initiative „Kommunales Know-how für Nahost“. München und die türkische Stadt Mardin an der syrischen Grenze seien dabei die beiden ersten Partnerstädte gewesen, erklärte Schmid. Ein weiteres erfolgversprechendes Projekt betreffe die Zusammenarbeit mit der tunesischen Stadt Kasserine.

Flucht und Migration bleiben nach Minister Müllers Ausführungen die große Herausforderung der Zukunft. Im Moment leben und arbeiten 250 Mio. Menschen außerhalb ihres Heimatlandes. Nach wie vor dramatisch ist die weltweite Flüchtlingssituation: Jeden Tag kommen über 40.000 Flüchtlinge hinzu. 68 Millionen Menschen sind insgesamt auf der Flucht – fast doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Fast 90 Prozent von ihnen finden Aufnahme in Entwicklungsländern.

Müller informierte über die Bereiche „Krisenbogen um Syrien“, in dem derzeit acht Millionen Menschen in Zeltstädten lebten und „Afrika“. Hier liege der Ursprung der im Augenblick umfangreichsten Fluchtbewegungen nach Europa. Die Flucht aus dem Krisenbogen Syrien sei kriegsbedingt.

Mit Blick auf die Kriegsgebiete in Syrien und dem Irak wies der Minister darauf hin, dass keine andere irakische Stadt mehr unter dem IS-Terror gelitten habe als Mossul. Hier wurde das Kalifat ausgerufen. Über eine Million Menschen, darunter 500.000 Kinder, flohen. Straßen und Häuser wurden zerstört, Minen und versteckte Sprengfallen machten Teile der Stadt unbewohnbar.

Programm „Cash For Work“

Über die unmittelbare Sicherstellung der Grundversorgung (Ernährung, Wasser) hinaus unterstützt Deutschland Flüchtlinge durch Arbeitsmöglichkeiten und Einkommen. Einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau leistet vor Ort das Programm „Cash For Work“, das für einige tausend Familien sofort verfügbare Einkommen und Beschäftigung schafft. „Die Menschen bekommen eine Schaufel und einen Schubkarren, um den Schutt wegzuräumen und so ihre Stadt selbst wieder aufzubauen. Dafür erhalten sie 50 Cent, zum Teil auch einen Euro in der Stunde und arbeiten. Das ist großartig“, bekannte der Minister.

2017 investierte das Entwicklungsministerium insgesamt 105 Millionen Euro in Mossul. Mit deutscher Hilfe wurden so Wohnungen und 180 Schulen für 120.000 Kinder aufgebaut. Etwa 700.000 Binnenvertriebene konnten bereits zurückkehren. 2018 sollen 10.000 neue Jobs in der irakischen Stadt entstehen.

Wiederaufbau unterstützen 

Angesichts der dramatischen Lage müssen wir den Wiederaufbau in Mossul und im NordIrak weiter unterstützen. Wir dürfen mit unseren Engagement im Irak und der gesamten Krisenregion rund um Syrien nicht nachlassen, damit der Terrorismus nicht wieder Fuß fassen kann“, machte Müller deutlich. Sie erhielten so die Möglichkeit, sich selbst und ihre Familien zu versorgen. Die finanzielle Notlage der Menschen werde gemindert, die soziale Anerkennung der Flüchtlinge im Gastland wächst und der gesellschaftliche Zusammenhalt werde gestärkt, denn an den Programmen kann auch die lokale Bevölkerung teilnehmen. Auch im Libanon sei die Lage im Übrigen dramatisch. „Das Land hat 4,2 Millionen Einwohner und hat 1,5 Millionen Syrer aufgenommen“, betonte Gerd Müller.

Durch das Programm „Perspektive Heimat“ schafft das BMZ Startchancen in ausgewählten Ländern. Das Rückkehrer-Programm ist seit März 2017 im Aufbau und hilft seither Menschen bei der Reintegration, die nach Albanien, Kosovo, Serbien, Tunesien, Marokko, Ghana und Senegal zurückkehren wollen. Weitere Zielländer des Programms sind Nigeria, Irak, Afghanistan und Ägypten.

 Schon heute finanziert das BMZ in seinen Partnerländern viele Projekte, die auch Rückkehrern offenstehen. Hierzu zählen Existenzgründerberatung, Programme zur beruflichen Bildung und Beschäftigung oder Bewerbungstrainings. Aber nicht immer decken die bestehenden Angebote den Bedarf an Förderung und Beratung oder sie sind bei Rückkehrern nicht bekannt. Deshalb verstärkt und erweitert das BMZ bestehende Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in den Partnerländern und die Beratungsmöglichkeiten hierzu, um sowohl für Rückkehrer als auch für die Menschen vor Ort neue Startchancen zu schaffen.

Marshallplan mit Afrika

GZ 13 2018 Schmid

Josef Schmid. RED

Auch aus Afrika gibt es nach Müllers Ausführungen Kriegsflüchtlinge, allerdings spielten hier andere Motive eine Rolle. Die sehr starke Bevölkerungszunahme – jedes Jahr kommen 20 Mio. junge Menschen neu auf den afrikanischen Arbeitsmarkt – und die Digitalisierung würden in Zukunft die Fluchtbewegungen aus Afrika befeuern.

Da der wirtschaftliche Standard noch „im 19 Jahrhundert“ angesiedelt sei, gleichzeitig aber durch digitale Medien die Verheißung des westlichen Lebensstandards per Smartphone überall ersichtlich sei, entstünden „Pull-Faktoren“, so Müller. Gleichzeitig fuße der deutsche Wohlstand zu großen Teilen auf dem Rücken dieser Menschen: „Kein Handy funktioniert, kein Auto fährt ohne seltene Metalle, die wir aus afrikanischen Ländern beziehen“, meinte der Minister. Auch hieraus entstehe die Verpflichtung zur Hilfe, die ganz große Aufgabe für Europa.

Müller verwies auf seinen „Marshallplan mit Afrika“. Dabei handelt es sich um ein integriertes Gesamtkonzept mit Vorschlägen und Reformideen für eine kohärente Politik in den Bereichen Wirtschaft, Stabilität, Handel und Sicherheit. Der Plan fußt auf den vier Kerngedanken: 1. Private Investitionen fördern, 2. Gute Regierungsführung stärken, 3. Handelsbeziehungen fairer gestalten und 4. Frieden und Stabilität sichern. Hauptziel des Marshallplans ist es, Kapital für Afrika zu mobilisieren. Und zwar nicht nur in Form von Geld oder Krediten, sondern vor allem durch politisches und unternehmerisches „Kapital“.

„Afrikas größtes Kapital sind seine Menschen. Afrika ist einer der jüngsten Kontinente unseres Planeten“, führte Müller aus. Doch die Jugendarbeitslosigkeit sei hoch. Darum hat Deutschland gemeinsam mit der African Union (AU) die „Skills Initiative for Africa“ entwickelt. Die praxisbezogene Berufsausbildung in Afrika, insbesondere für Mädchen und Frauen, wird verbessert und erweitert. Wichtige Partner dafür sind die afrikanische und internationale Privatwirtschaft. Deutsche Unternehmen etwa haben Müller zufolge mit beruflicher Qualitäts-Ausbildung viel Erfahrung.

Der Zugang afrikanischer Staaten zu den Märkten im Norden stelle dabei eine wichtige Komponente dar. Umgekehrt gilt: Europäische Unternehmer müssten angehalten werden, sich in Afrika zu engagieren. Derzeit werde dazu ein Entwicklungsinvestitionsgesetz erarbeitet.

Faire Konditionen gefordert 

Mit öffentlichen Geldern lösen wir die Probleme Afrikas und der Entwicklungsländer nicht. Wir müssen die selber schaffen lassen und ihnen selber die Möglichkeit geben, in Arbeit zu kommen und ihnen einen fairen Preis und ein faires Handelsangebot machen“, urteilte Müller. Weltweit arbeiteten mehr als 60 Millionen Menschen in der Textil- und Bekleidungsbranche, die meisten von ihnen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Der Wirtschaftszweig sei international stark verflochten, die Lieferketten seien komplex. Der Beitrag zum Wirtschaftswachstum und zur Entwicklung sei groß. Jedoch entsprächen die Produktions- und Arbeitsbedingungen in manchen Ländern noch nicht international definierten Umwelt- und Sozialstandards.

Der Großteil der in Deutschland verkauften Kleidung wird im Ausland hergestellt, vor allem in China und Bangladesch. Die Löhne, die in der Textilbranche gezahlt werden, reichen häufig nicht aus, um Miete, Essen, den Schulbesuch der Kinder oder eine ärztliche Versorgung der Arbeiterinnen und Arbeiter zu sichern. Selbst die gesetzlich festgelegten Mindestlöhne sind oft zu niedrig, um davon leben zu können. In Bangladesch erhalten ungelernte Näherinnen zum Beispiel nur einen Mindestlohn von ungefähr 50 Euro im Monat.

Chancen für Arbeit schaffen

In Deutschland kostete eine Arbeitsstunde in der Bekleidungsindustrie im Jahr 2011 laut Angaben des Gesamtverbands der Textil- und Modeindustrie 27,70 Euro. In anderen EU-Ländern ist das Lohnniveau ähnlich. Aus Kostengründen werden viele Produktionsstufen in Niedriglohnländer in Asien oder Afrika verlagert.

Im Bereich der Textilwirtschaft setzt sich Deutschland auf verschiedenen Ebenen für Umwelt- und Sozialstandards ein. Das BMZ engagiert sich in internationalen Organisationen und in der Zusammenarbeit mit seinen Partnerländern für das Thema. Außerdem entwickelt das BMZ gemeinsame Initiativen mit der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft, wie zum Beispiel das Bündnis für nachhaltige Textilien.

Müllers Appell: „Wir müssen in Entwicklungsländern Chancen für Arbeit schaffen. 20 Mio. Jobs pro Jahr braucht allein Afrika, d.h. in 20 Jahren 400 Mio. Jobs. Schaffen wir das nicht und leiten den Paradigmenwechsel in der europäischen Zusammenarbeit nicht ein, kommen die Menschen zu uns. Deshalb ist es angesagt, in einer neuen Zeit auch neue Antworten zu geben. Ohne dass wir auf unseren Wohlstand verzichten müssen.“  

DK

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