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(GZ-11-2017)
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► Ideenwerkstatt in Altötting:
 
energylab – Energiezukunft regional gestalten
 

Abschlussveranstaltung mit länderübergreifender Expertenrunde Bayerische GemeindeZeitung als Medienpartner

Wie gelingt die Strom-, Wärme- und Mobilitätswende in der Region? Dies war die zentrale Frage einer länderübergreifenden Expertenrunde aus Industrie, Gewerbe, Gemeinde-, Regionalund Landespolitik, die monatelang an konkreten Lösungsszenarien arbeitete. Bei der Abschlussveranstaltung im Kultur + Kongress Forum Altötting stellten sie ihre Vorschläge zur Diskussion. Die Bayerische GemeindeZeitung begleitete die Veranstaltung als Medienpartner.

Das „energylab – Energiezukunft regional gestalten“ ist eine gemeinsame Initiative von VERBUND mit den Landratsämtern Passau, Traunstein, Altötting, Berchtesgadener Land, den regionalen Planungsverbänden Landshut und Südostoberbayern, der Energieagentur Südostbayern, Zentrum Digitalisierung.Bayern, Bayern Innovativ, Bayerischer Industrie- und Handelskammertag, Industriellenvereinigung Österreich, Wirtschaftskammer Österreich, Energie- und Umweltagentur Niederösterreich, Wien Energie, Siemens und OMV.

In verschiedenen Themen-Clustern und Kleingruppen wurde im dynamischen Entwicklungsformat an Umsetzungsprototypen gearbeitet. Die Gruppe „Erneuerbare Energie“ machte den Vorschlag, regionale Cluster-Maß- nahmen zu konzipieren. Regionale Energiecluster sorgten dafür, dass im Sinne eines marktwirtschaftlichen Modells der Ausbau von Erneuerbaren Energien vorangetrieben wird. Durch Clusterung/Bündelung kleiner Ausbauleistungen von entsprechenden Anlagen werde ein förderunabhängiger Massenmarkt geschaffen. Die Cluster-Ausbauten basierten auf Potenzialanalysen bzw. Energiekonzepten.

Diverse Expertenteams

Im Expertenteam „Regionale Marktteilnehmer“ war man der Auffassung, dass es notwendig ist, eine Initiative zu gründen, um regenerative Energieprojekte umzusetzen. Konkret soll dies durch den Aufbau einer Dialogplattform und einer regionalen Finanzierungsplattform bewerkstelligt werden. Zudem sollen regionale Unternehmen gemeinsam mit überregionalen Playern eine Open-Source-Plattform gründen, um gemeinsam Produkte zu entwickeln.

Die Arbeitsgruppe „Finanzierung und Regulierung“ hatte die Idee, dass zunächst die Finanzierung der erneuerbaren Energien neu geordnet werden muss. Dazu seien viele regulatorische Anpassungen notwendig. Die EEGUmlage sollte in einem ersten Schritt auf mehr Schultern verteilt werden, um insbesondere den aktuell wenig zur Energiewende beitragenden Wärme-Sektor an der Finanzierung zu beteiligen. Am geeignetsten wäre eine Finanzierung der Energiewende auf EU-Ebene, um auch in allen Mitgliedsstaaten gleiche Bedingungen zu schaffen. Dabei sollte der Fokus u. a. auf der CO2-Reduktion liegen.

Ergänzt werden sollte die Anpassung der Finanzierung durch die Ausweitung dezentraler Prosumer-Modelle, insbesondere Quartiermodelle mit regionalem Label. Ein Mehrfamilienhaus könne dabei die Bewohner des Hauses sowie jene umliegender Gebäude mit hauptsächlich eigens produziertem Strom und Wärme versorgen. Dabei soll das Modell einen regionalen Anstrich erhalten (z.B. Altöttinger Energie). Ein Dienstleister könnte die gesamte Regulierung und Umsetzung übernehmen.

Das Team „Regionales Energiesystem“ machte den Vorschlag, das bestehende Verteilnetz zu einem intelligenten Netz + smart metering auszubauen. Die Marktbasierte Steuerung von Erzeugung und Verbrauch sowie die lokale Steuerung und zentrale Koordination seien ebenso begrüßenswert wie eine Sektorkopplung.

Die Gruppe „Digitalisierung und Datenmanagement“ brachte die Idee eines Data Trust Centers (DTC) in die Diskussion mit ein. Das DTC macht transparent, wie Daten regional verteilt und genutzt werden. Dem Produzenten von Daten wird gezeigt, was mit seinen Daten passieren wird – und ggf. ein vorgefertigter Vertrag geschlossen, der diesen Zweck absichert. Ein Trusted Data Siegel garantiert die rein regionale Nutzung der Daten und macht den Effekt der Nutzung für die Region sichtbar und beobachtbar. Der Konsument wird über die Nutzung informiert und behält die Kontrolle.

Wärmewende

Im Expertenteam „Wärmewende“ wurde für innovative Dienstleistungskonzepte rund um das Heizen plädiert. Die Idee ist, Dienstleistungen rund um das Heizen zu bündeln und den Kunden komplette Problemlösungen anzubieten. Darüber hinaus soll der Kundenkontakt dazu genutzt werden, auch andere Dienstleistungen wie Strom, Telekommunikation, Home Automatisierung, Sicherheit und Versicherungen zu vertreiben. Darüber hinaus wurde eine „lokale Mobilisierung von Eigentümern bestehender Gebäude zur Nutzung von erneuerbarer Wärme“ vorgeschlagen.

Die Idee beruht auf der Kombination einer (eventuell gesetzlich zu verankernden und von der Gemeinde zu veranlassenden) Begehung aller (alten) Heizanlagen durch Experten (Rauchfangkehrer, Energieberater, Gemeindevertreter, evtl. Dienstleistungsanbieter) und diversen Kommunikationsmaßnahmen, die motivierende Wirkung haben sollen.

E-Mobilität

Die Arbeitsgruppe „E-Mobilität“ vertrat die Auffassung, dass es zwar bereits zahlreiche Aktivitäten und Angebote zur Elektromobilität gibt, eine zentrale Plattform jedoch hier die Sicht- und Nutzbarkeit deutlich verbessern kann. Das Ziel sei daher der Aufbau einer Informations- und Vernetzungsdrehscheibe für alle Bevölkerungsgruppen und Marktteilnehmer als „Schaufenster Elektromobilität im Alltag“.

Das Team „Verbrauchersicht und Bewusstseinswende“ machte schließlich den Vorschlag, das RegioLab-energylab-Format vor Ort umzusetzen und damit vorhandenen, regionalen Klima- und Energiestrategien Nachdruck zu verleihen. Es gehe darum, das Bekenntnis zur Umsetzung auf eine breite Basis zu stellen.

Im Rahmen zweier Dialogrunden (Moderation: GZ-Chefredakteurin Anne-Marie von Hassel) wurden die Resultate der einzelnen Arbeitsgruppen reflektiert und diskutiert. An der Podiumsdiskussion nahmen neben Dr. Marcel Huber, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, auch Wolfgang Anzengruber, Vorstandsvorsitzender der Verbund AG, Landrat Erwin Schneider (Altötting), Prof. Dr. Manfred Broy, Gründungspräsident des Zentrums Digitalisierung Bayern, Gunnar Braun, Geschäftsführer der Landesgruppe Bayern im Verband kommunaler Unternehmen, Thomas Gangl, Senior Vice President der OMV, Dr. Dieter Gilles, Burghauser Werksleiter der Wacker Chemie und Peter Koren, Vize-Generalsekretär der Industriellenvereinigung in Österreich, teil. Die Diskutanten waren sich einig, dass das „energylab“ der Beginn eines Prozesses ist, der langfristig zur positiven Energiezukunft beitragen wird.

Neue Dynamik

„Die Energiewende stellt uns alle vor große Herausforderungen“, betonte Landrat Erwin Schneider. Der forcierte Ausbau erneuerbarer Energieträger habe in den vergangenen Jahren eine neue regionale Wertschöpfung ermöglicht. In der „zweiten Phase der Energiewende“ sei nun mehr Markt gefragt, um die Zielsetzungen volkswirtschaftlich bestmöglich zu erreichen. Darüber hinaus bringe die digitale Revolution auch in den Energiesektor eine neue Dynamik.

Grundsätzlich fehle ein „richtiger Masterplan“. Man befinde sich immer noch „mitten im Feldversuch“. Ob es den heutigen „Gemischtwarenladen“ auch in zehn Jahren noch geben wird, stellte Schneider in Frage. Gleichzeitig gab er seiner Freude darüber Ausdruck, dass die ideenwerkstatt „energylab“ viele interessante Aspekte und mögliche Lösungsszenarien aufgezeigt habe.

Da gute Ideen „zwar in Ordnung sind, zwischen ihnen und der Umsetzung jedoch das weite Meer liegt“, äußerte der Landkreischef die Hoffnung, diesen Dialog fortzusetzen. „Mein Wunsch wäre, künftig regionale, landkreisbezogene energylabs zu veranstalten.“

VERBUND als Partner der Regionen

Wolfgang Anzengruber, CEO von VERBUND, dem größten Erzeuger von Strom aus Wasserkraft in Bayern, bekannte sich zur Regionalität, die im Energiebereich immer wichtiger werde. Man stehe erst am Anfang einer dynamischen Entwicklung in Richtung „mehr Dezentralität“, so der Vorstandsvorsitzende. Durch neue Speicher und digitale Anwendungen werde diese Entwicklung weiter an Fahrt zulegen. Das Prädikat „regional“ könne hier „das neue Qualitätssiegel“ werden. VERBUND sei in diesem Prozess „Partner der Regionen, der Unternehmen und aller, die die Energiezukunft – insbesondere auch vor Ort – aktiv gestalten“.

Das Ziel der Energiewende basiere auf Decarbonisierung, Dezentralisierung, Demokratisierung sowie Digitalisierung und deren sinnvolle Verbindung, erklärte Anzengruber. Es gelte, die Balance zu finden „zwischen der Volatilität der Erzeugung und der konkreten Nachfrage des Kunden“. Als Ausgleichsmechanismen dienten hierzu schaltbare Einheiten in der Industrie (Stichwort: Demand Response) und Speicher. Unumstritten sei die Tatsache, dass die Pumpspeicherkraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 80 % die mit Abstand effizienteste großtechnische Speichertechnologie darstellen. Ohnehin werden Speicher ein „Riesenthema“ werden, prognostizierte der CEO – „egal, ob es sich um Batteriespeicher, Power-to-GasEinheiten oder das Thema Mobilität handelt“.

Lob für Kreativwerkstatt

Staatskanzleiminister Dr. Marcel Huber lobte die Kreativwerkstatt „energylab“ mit ihrem branchen- und länderübergreifenden Austausch an passgenauen Ideen und Visionen. Sie könne beispielhaft für alle Regionen sein. Huber: „Wer die Energiewende aktiv mitgestalten will, muss bei den Menschen vor Ort anfangen. Ihre Akzeptanz ist richtungweisend. Nur wenn sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen, um die Umstellung auf erneuerbare Energien voranzubringen, wird die Energiewende gelingen.“

Bei Betrachtung der bundesdeutschen Energiepolitik würden aktuell freilich nicht nur Vernunftargumente, sondern auch arbeitsmarkt-, regional- und industriepolitische Argumente angeführt, bemerkte Huber. Diese seien nicht selten alles andere als zielgerichtet, wenn es um die optimale Gestaltung der Energiewende und die Minimierung der Kosten geht.

Mit Blick auf die E-Mobilität konzedierte der Staatskanzleichef dem Freistaat Bayern einen „deutlichen Anschub“. So seien in Nürnberg ein Batterieforschungszentrum aufgebaut und auf der A 9 eine Teststrecke für autonomes Fahren eröffnet worden. Zudem würden Pilotregionen für Elektromobilität gegründet. E-Mobilität werde allerdings erst dann funktionieren, „wenn Preis-Leistungsverhältnis und Reichweite in einer vernünftigen Relation stehen und die Kommunen auch mit eigenen Ladestationen in Vorleistung gehen“.

Für mehr Speichertechnik

 Gunnar Braun, Geschäftsführer der Landesgruppe Bayern im VKU, wies darauf hin, dass 95 Prozent der Erneuerbaren Energien in die von den Stadtwerken und kommunalen Unternehmen überwiegend betriebenen Verteilnetze gehen. Sie hielten das System am Laufen, indem sie Versorgungssicherheit schafften. Der Politik wünschte Braun dringend „ein paar anders gedrehte Stellschrauben“ wie den vermehrten Einsatz von Speichertechnik.

Vor Ort zu reagieren und flexibel zu sein, sei wichtig; hierfür seien Plattformen unverzichtbar. Braun zufolge „arbeiten wir auch im VKU auf Bundesebene an Datenplattformen. Unternehmen kümmern sich dabei um Kritische Infrastrukturen.“

In punkto Informationsplattform verwies Braun auf den Internetauftritt der ASEW – Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung im VKU. Mit dem BusinessCheck EDL erleichtere die ASEW Unternehmen den Einstieg in den Energiedienstleistungsmarkt. Erfahrene Experten begleiteten Unternehmen mit dem standardisierten AnalyseTool bei der Untersuchung ihres Marktumfelds. „Sie erfahren, wo sie stehen und welche nächsten Schritte strategisch sinnvoll sind, um sich erfolgreich auf dem Markt zu positionieren.“

Laut Prof. Dr. Manfred Broy, Gründungspräsident des Zentrums Digitalisierung Bayern, „begeben wir uns derzeit in eine Situation, in der die Stabilität der Energienetze zunehmend in Schwierigkeiten gerät“. Das Wichtigste im Energiebereich sei aber die sichere Versorgung. Nach Broys Worten „können wir heute mit den vorhandenen volatilen Netzen ohne digitale Steuerung nicht mehr zurechtkommen“. Das Augenmerk liege auf dem „Wechselspiel zwischen den digitalen Möglichkeiten und den Chancen der Stromversorgung“. Die Digitalisierung ermögliche beispielsweise Endverbrauchern, stärker an der Strompreisgestaltung teilzunehmen. „Dies ist nicht nur eine Frage der Technologie, sondern auch der Organisation.“

Peter Koren, Vize-Generalsekretär der Industriellenvereinigung in Österreich, verwies auf „spannende Ansätze gerade für die produzierende Industrie“, wenn es darum geht, Energieverbrauchsspitzen auszugleichen und die Netze stabil zu halten. Auch sei die Lieferung industrieller Abwärme für kommunale Dienstleistungen sowohl auf dem Land als auch in der Stadt verstärkt zu beobachten.

Kein Selbstzweck

Die Energiewende ist aus unserer Sicht kein Selbstzweck“, so Koren. Die Kosten-Nutzen-Relation müsse allerorten stimmen. Energylabs trügen zur verstärkten Partizipation der Bürger, der kleinen Kommunen genauso wie der großen Unternehmen, bei. „Wenn wir diese Involvierung nicht schaffen, wird die Energiewende nicht gelingen“, urteilte Koren.

Die Digitalisierung sieht er als „echte Chance für die Energiewirtschaft, cooler zu werden und damit junge Leute wieder mehr für Technologien zu begeistern“. An die deutsche Politik gerichtet, vertrat Koren die Auffassung, dass die Energiewende möglicherweise etwas vorausschauender hätte geplant werden sollen. Nach den Worten von Thomas Gangl, Senior Vice President der OMV, „brauchen wir viel Energie und diese vor allem verlässlich“. Netzstabilität beginne für ihn bei der Planungssicherheit und den regulatorischen Maßnahmen und ende bei der Verfügbarkeit der Elektronen. Die OMV versorge weltweit ca. 200 Mio. Menschen mit Energie, doch sei man – siehe Burghausen – auch regional unterwegs.

„Wir müssen aber auch wissen, was wir erwarten können“, unterstrich Gangl. „Sprechen wir von Stabilität, meinen wir auch die Wirtschaftlichkeit, d.h. der Strom muss wettbewerbsfähig sein.“ Schließlich stehe man als österreichisches Öl- und Gasunternehmen im internationalen Wettbewerb. In der Erwartung eines längerfristigen zeitlichen Übergangs, forderte der Vizepräsident einen effizienten Energiemix, wobei Gas aus seiner Sicht ein wesentlicher Energieträger ist.

„10.000 Mitarbeiter arbeiten bei Wacker Chemie in Burghausen täglich daran, den spezifischen Energieverbrauch zu senken“, erläuterte Werksleiter Dr. Dieter Gilles. Beabsichtigt sei, den spezifischen Energieverbrauch bis 2022 zu halbieren – „eine großartige Leistung, die die Industrie erbringt“.

Alzkanal als Lebensader

„Par excellence“ praktiziere Wacker Chemie darüber hinaus die Regionalisierung der Energieerzeugung: „Wir haben ein Gasund Dampfkraftwerk mit einer Leistung von 160 MW und einem Wirkungsgrad von etwa 85 %. Zudem haben wir gerade 40 Mio. Euro in eine Generalsanierung des Alzkanals investiert. 9 % des gesamten Energiebedarfs werde durch die Wasserkraft gedeckt. „Das ist die Lebensader für Wacker“, meinte Gilles, der dem Publikum abschließend folgende Botschaft mit auf den Weg gab: „Das Warten auf die große Lö- sung versperrt nicht selten den Blick auf die vielen Möglichkeiten.“ Daran sollte man sich gelegentlich erinnern.

DK

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